Teuflische List
als wolle sie sich die Nase abwischen; dabei wusste sie ganz genau, dass Drew sich nicht eine Sekunde davon hatte täuschen lassen.
»Allmählich mache ich mir wirklich Sorgen um dich«, bemerkte er.
»Es geht mir gut«, erwiderte Jules und lächelte. »Aber ich kann noch nicht sagen, wann ich wieder zurück bin.«
»Ich weiß«, erwiderte Drew. »Du hast es mir schon gesagt, und du hast mir auch gesagt, ich solle niemandem erzählen, dass ich den Kleinen habe, auch nicht deinem Bruder, obwohl ich nicht den Hauch einer Ahnung davon habe, weshalb er es nicht wissen darf. Aber mirsoll’s recht sein. Ich werde niemandem sagen, dass Olli bei mir ist. Wenn ich es doch tue, soll mich der Teufel holen.« Er bückte sich, um Olli das Haar zu zerzausen. »Geh du ruhig los und tue, was du tun musst.« Noch immer besorgt hielt er kurz inne. »Solange es dir wirklich gut geht und da nicht noch etwas anderes ist, das ich für dich tun kann.«
»Du tust bereits das Wichtigste auf der Welt für mich«, sagte Jules.
Und dann küsste sie ihren Sohn, versuchte, nicht in Tränen auszubrechen, und ging.
45.
Silas war kurz nach sechs gekommen, um Abigail aus dem Musikzimmer zu lassen. Mit keinem Wort erklärte er, wo er gewesen war.
Nicht dass sie ihn danach gefragt hätte.
Ich bin im Streik.
Wenn sie sich weigerte, alles zu tun, was er von ihr verlangte, so hatte sie sich überlegt, blieb ihm angesichts ihrer Schwangerschaft nichts anderes übrig, als selbst ein paar Schritt zurückzuweichen.
Natürlich war es falsch, ihr Baby für so etwas zu missbrauchen, das wusste sie – und sie hasste sich selbst dafür.
Aber was getan werden muss, muss getan werden.
Und dass sie sich selbst hasste, war nichts Neues für Abigail.
»Da du weder essen noch für mich spielen oder mit mir reden willst«, sagte Silas um kurz vor neun im Schlafzimmer zu ihr, »kannst du genauso gut schlafen gehen.«
»Ich werde ins Bett gehen, wenn mir danach ist«, erwiderte Abigail.
Sie wartete darauf, dass er sie einschloss und allein ließ, doch er gab nicht nach. Stattdessen setzte er sich aufs Bett und begann, ein Buch zu lesen. Abigail hörte das vertraute Rascheln der Seiten, als diese umgeblättert wurden, und sie erkannte am Klang, dass es sich um einTaschenbuch handelte. Frustriert, wütend, aber inzwischen auch gelangweilt fragte sie sich beiläufig, was für ein Buch er da las, ob es noch immer Ian Rankin war …
In der Zeit seiner größten Reue hatte Silas ihr stundenlang vorgelesen, und es war ein großer Trost für sie gewesen, in eine fiktive Welt einzutauchen.
Sollte er ihr jetzt aber etwas vorlesen, dachte sie in einem plötzlichen Anfall von Zorn, würde sie ihm das Buch aus der Hand reißen und es ihm rechts und links um die Ohren hauen.
Er versuchte es aber nicht. Er sprach überhaupt nicht mehr mit ihr.
Er las einfach stumm weiter, bis Abigail es nicht mehr ertragen konnte.
»Ich gehe jetzt ins Bett«, verkündete sie unvermittelt.
Sie hörte, wie er das Buch zuklappte.
»Möchtest du, dass ich dir beim Ausziehen helfe?«, fragte er.
»Ich möchte, dass du mich allein lässt«, antwortete sie gereizt.
»Erst wenn ich weiß, dass du sicher im Bett liegst«, sagte Silas. »Ich will ja nicht, dass du fällst und mein Baby verletzt.«
» Unser Baby, um Himmels willen, Silas.«
»Aber du willst mich offenbar nicht mehr«, sagte er.
»Vor allem will ich nicht deine Gefangene sein.«
»Deshalb«, er ignorierte sie vollkommen, »habe ich mich damit zufrieden gegeben, mir mein Kind zu nehmen.«
46.
Jules war wieder in ihrer Wohnung. Asali stand neben ihr; deutlich fühlte der Hund die Anspannung seines Frauchens.
Jules starrte auf den Fernseher, ohne etwas zu sehen.
Sie wartete.
Sie war in dunkle Kleidung gehüllt wie ein Einbrecher: schwarzes Sweatshirt mit Rollkragen und die alte olivgrüne Armeehose, die sie manchmal zu Hause oder im Laden anzog, wenn größere Reinigungsarbeiten anstanden.
Alles, was sie vielleicht würde brauchen können – sofern sie das überhaupt abschätzen konnte –, stand neben der Wohnungstür: eine Taschenlampe und der größte Schraubenzieher, den sie hatte finden können, als Ersatz für eine Brechstange. Allerdings hoffte sie, nicht darauf zurückgreifen zu müssen, da sie auch noch die Schlüssel zum Haus ihres Bruders hatte.
Die Schlüssel lagen neben dem Schraubenzieher.
Allerdings würden sie nicht viel nützen, sollte Silas sämtliche Türen verriegelt haben.
Vielleicht hatte
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