Teuflische List
wie Silas es wollte. Doch nun wurde Jules auch etwas anderes klar: Dank ihres massiven Schuldkomplexes hatte Abigail sich trotz ihrer Ängste und Verdächtigungen Silas gegenüber stets gefügig verhalten, aber jetzt war auch ihre Toleranz beinahe erschöpft … und dann was?
Und was würde geschehen, wenn das Kind geboren war?
Ein Mensch, der mich für immer lieben wird.
Jules blickte wieder zu Olli hinunter, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Buchladens.
»Jules’ Books.«
Voller Dankbarkeit hörte sie die vertraute Stimme mit dem Yorkshire-Akzent.
»Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Drew«, sagte sie rundheraus. »Einen großen Gefallen.«
»Was immer du willst«, erwiderte er, ohne zu zögern.
Jules sagte ihm, dass er das Geschäft schließen und nach Hause gehen solle. Dann würde sie ihm Olli bringen, und Olli würde vermutlich den ganzen Tag, vielleicht auch über Nacht dort bleiben müssen, denn im Augenblick brauche sie einen Ort, an dem Olli in Sicherheit war.
»Was ist passiert?«, fragte Drew besorgt. »Alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut«, log Jules.
»Irgendetwas muss doch passiert sein«, hakte Drew nach.
»Nichts, wovon ich dir erzählen könnte, Drew.«
»Hm. In Ordnung«, sagte er.
»Dann ist es also abgemacht?«, fragte Jules.
»Könntest du mir ein paar Stunden geben?«, fragte Drew und hielt kurz inne. »Ich würde gern vorher noch etwas für eine alte Nachbarin einkaufen, die gerade an der Hüfte operiert worden ist. Sie kann noch nicht selbst gehen, und nachdem ich den Laden geschlossen habe, könnte ich das rasch erledigen …«
Jules dachte darüber nach.
Sie war noch nicht bereit, ihren Zug zu machen. Sie brauchte noch ein wenig Zeit zum Planen.
»Geh für deine Nachbarin einkaufen, Drew«, sagte sie.
43.
Im Haus machte Silas ein Sandwich für Abigail, füllte ein Glas mit Orangensaft und trug alles auf einem Tablett – zusammen mit den Augentropfen – nach oben ins Musikzimmer.
Abigail saß auf der Chaiselongue.
»Ein später Lunch«, sagte er, »auch wenn du nicht gespielt hast. Alles gesunde Speisen. Vollkornbrot, Hähnchenbrust, Salat …«
»Ich bin nicht hungrig«, erwiderte Abigail.
»Du solltest aber etwas essen«, sagte Silas. »Für zwei, wie man so sagt.«
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie. »Ich habe gehört, dass du rausgegangen bist.«
»Ich musste etwas erledigen«, antwortete er. »Ich wusste ja, dass du hier drinnen sicher bist.«
»Sicher?« Sie klang ungläubig. »Eingesperrt in einem Zimmer.«
»Ich werde mit dir warten, wenn du willst«, bot Silas kameradschaftlich an, »während du dein Sandwich isst. Dann kann ich dir mit deinen Augentropfen helfen.«
»Ich werde das mit den Augentropfen selbst machen«, erklärte Abigail.
Silas hatte das Tablett auf einen der kleinen Tische gestellt, den er nun an die Chaiselongue heranzog. Er stellte sicher, dass Abigail wusste, wo er war, doch siemachte keinerlei Anstalten, irgendetwas auf dem Tablett anzurühren.
»Ich hoffe sehr, du wirst dich jetzt nicht kindisch aufführen … um des Babys willen.«
»Ich habe dir gesagt, dass ich mich selbst um die Tropfen kümmern werde.«
»Du musst vorsichtig sein«, sagte er, »dass du nicht durcheinander kommst.«
»Ich komme schon zurecht.«
»Nicht, dass du in deiner Wut auch noch den Augen schadest«, sagte Silas.
»Mein Gott«, seufzte Abigail.
»Bitte, iss etwas«, forderte er sie auf.
»Wirst du mich wieder rauslassen?«, fragte sie.
»Ich kann nicht«, antwortete er, »im Augenblick jedenfalls nicht.«
»Dann werde ich auch nichts essen«, erklärte Abigail, »im Augenblick jedenfalls nicht.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Silas.
Er verließ den Raum und schloss sie ein.
Zehn Minuten später, als er wieder das Haus verließ, hörte er das Cello.
44.
In seiner Wohnung in Wood Green, kurz nach halb sechs, nachdem er die Einkäufe für seine Nachbarin erledigt hatte, lauschte Drew Martin Jules’ Anweisungen, was er Olli zu essen geben sollte.
»Ich weiß gar nicht, warum du einen solchen Aufstand machst«, sagte er schließlich. »Es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie den Babysitter für Olli gemacht, und außerdem … Hast du vergessen, dass ich zwei kleine Nichten habe und Patenonkel bin? Ganz zu schweigen davon, dass der kleine Kerl mich mag.«
»Olli liebt dich«, sagte Jules.
Unerwartet traten ihr Tränen in die Augen, und sie blinzelte sie rasch weg und machte eine dümmliche Geste,
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