Teuflische Schwester
ein
Gesicht ab – blaß wie der leibhaftige Tod und von
hüftlangem blondem Haar umrahmt.
Cora klammerte sich an den Türpfosten. Und dann, als
die gespenstische Erscheinung die Öllampe in die Hand
nahm und sich auf sie zu bewegte, erkannte sie das
Gesicht.
»Melissa?«
Die Gestalt blieb stehen. Ihr Kopf zeigte den Ansatz
eines Nickens.
»Was um alles auf der Welt tust du hier oben?«
»Ich gehe zum Ball«, erwiderte Melissa.
Coras Augen verengten sich. Etwas an Melissas Stimme
war nicht normal. Nicht daß sie sie nicht erkannt hätte,
aber sie klang anders.
»Zum Tanz?« wiederholte Cora. »Haben die Jungen dich
denn nicht abgeholt? Ich habe den Wagen gehört …«
»Ich war noch nicht fertig«, erklärte Melissa. »Aber jetzt
bin ich soweit.«
Melissa setzte sich wieder in Bewegung. Instinktiv wich
Cora zurück. Etwas an Melissa stimmte nicht.
Melissa ging stumm an ihr vorbei. Doch anstatt ins Licht
der nackten Birne zu laufen, schlug sie die andere
Richtung ein, zur seit langem nicht mehr benutzten
Dienstbotentreppe, die direkt zur Küche führte.
Cora folgte ihr nach unten. »Melissa? Hast du was?«
fragte sie. Melissa blieb stehen. Ihr Blick schweifte über
die Küche. Sie wirkte etwas verwirrt. Auf Coras Frage hin
fing sie wieder zu sprechen an. Diesmal lächelte sie sogar,
aber es war ganz und gar nicht Melissas Lächeln, so wie
auch die Stimme nicht die ihre war.
»Mir geht es gut«, sagte sie. »Ist das nicht eine herrliche
Nacht?«
Cora trat näher an sie heran. »Etwas stimmt doch nicht
mit dir«, rief sie. »Deine Stimme klingt ganz anders. Und
wie siehst du überhaupt aus? Mein Gott, du bist ja
leichenblaß!«
Mit einem Schlag begriff sie: Sie hatte sich für das
Kostümfest als D’Arcy verkleidet! Die Spannung in Cora
ließ nach. Sie mußte sogar schmunzeln. »Du hast mich ja
ganz schön drangekriegt. Zuerst wäre ich vor Schreck fast
in Ohnmacht gefallen. Hoffentlich sieht dich nur niemand
am Strand. Die Leute fallen ja auf der Stelle tot um.« Sie
wollte sie umarmen, doch Melissa ging weiter zur Tür.
»Bitte nicht«, hauchte sie. »Sonst wird mein schönes
neues Kleid ganz zerknittert.« Sie stellte die Öllampe auf
den Küchentisch, lächelte Cora noch einmal an und
huschte durch die Hintertür in die Nacht hinaus.
Verwirrt eilte Cora ihr nach. Was für ein neues Kleid?
Wovon redete sie da? Das Kleid war doch uralt! Und was
war mit der Stimme los?
Sie hatte sich ganz und gar nicht nach Melissa angehört.
Irgendwie hatte sie älter geklungen. Und so sonderbar
tonlos. Sie spähte in die Dunkelheit. Melissa hatte den
Rasen schon halb überquert. Außer einem
verschwommenen Weiß vor dem schwarzen Hintergrund
der Nacht war nichts mehr zu erkennen. Einen Moment
lang blieb Cora unschlüssig stehen.
Sollte sie Mrs. Holloway bei den Barnstables anrufen?
Sofort verwarf sie den Gedanken wieder. Sie wußte nur
zu gut, wie ihre Dienstherrin reagieren würde, wenn sie
wegen Melissa von einer Party gerufen wurde.
Sie würde ihre Wut nicht nur an ihr, sondern vor allem
an Melissa auslassen.
Vielleicht fehlte Melissa auch überhaupt nichts.
Sie wollte D’Arcys Rolle vielleicht nur so lebensnah wie
möglich spielen. Cora wühlte in ihrem Gedächtnis nach
den alten Legenden über diese D’Arcy. Zum erstenmal
hatte sie vor fünfzig Jahren davon gehört, als sie in Secret
Cove angefangen hatte.
Wenn D’Arcy wirklich in diesem Haus gelebt haben
sollte, hatte sie mit Sicherheit im kleinen Zimmer im
Speicher oben gewohnt. An jenem Tag vor fast hundert
Jahren muß sie siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen
sein.
Bei der Erinnerung an Melissas Gesicht lächelte Cora.
Mit diesem Make-up, das ihr Gesicht so blaß hatte
erscheinen lassen, wirkte sie wie siebzehn.
Und ihre Stimme hatte ja auch älter und reifer erklungen.
Genau, das war es.
Melissa trug nicht nur D’Arcys Kleid, sie spielte auch
ihre Rolle.
Und das ist ihr wirklich gelungen, sagte Cora sich und
wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Mich hat sie jedenfalls
reingelegt. Ich hätte schwören können, daß das D’Arcy ist.
Jeff Barnstable drehte den Zündschlüssel herum. Mit
einem Brummen erwachte der Porsche zu neuem Leben.
Erst einmal ließ Jeff den Motor ein paarmal aufheulen,
dann löste er die Handbremse und trat fast bis zum
Anschlag aufs Gaspedal. Die Reifen drehten mit einem
Kreischen durch. Im nächsten Augenblick schoß der
Porsche nach vorne. Mit achtzig Kilometern näherte sich
Jeff der scharfen
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