Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teuflische Schwester

Teuflische Schwester

Titel: Teuflische Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
an sie herankäme …
Während des Redens rief er sein Wissen über die
multiplen Persönlichkeitsstörungen wach. Dabei
zersplitterte ein Individuum buchstäblich in die
verschiedenen Teile seines Wesens, die alle auf ihre
jeweilige Art auf die Umwelt reagierten. Vermutlich war
D’Arcy Melissas zweite Persönlichkeit, von der Phyllis’
endlose Nörgeleien und Schimpftiraden wirkungslos
abprallten. Wenn seine Theorie stimmte, gab es im
Augenblick für D’Arcy keinerlei Anlaß, sich zu zeigen.
Wenn sie fürchtete, ihre Enttarnung könnte Melissa
schaden, würde sie sich gewiß verbergen.
Er probierte es mit einer anderen Taktik.
»Melissa? Hörst du mich?«
»Ja.«
»Ich möchte, daß du für mich mit D’Arcy sprichst. Geht
das?«
Zunächst herrschte Schweigen, dann sagte Melissa
knapp: »Nein.«
Andrews runzelte die Stirn. Er war seiner Sache so
sicher gewesen. »Warum kannst du denn nicht mit ihr
sprechen?«
»Weil sie nicht hier ist.«
»Wo ist sie denn? Kannst du mir das sagen?«
Melissa stockte. »Ja«, flüsterte sie nach einer langen
Pause.
»Sag mir doch, wo sie ist, Melissa.«
Wieder herrschte Schweigen, bis Melissa eine Antwort
gab. »Sie … sie ist zu Hause«, hauchte sie. »Auf dem
Speicher oben.«
Andrews bohrte noch ein bißchen nach, doch mehr fand
er nicht heraus. Anscheinend verbarg D’Arcy sich so tief
in Melissas Unterbewußtsein, daß auch Melissa sie nur
unter starkem psychischem Druck erreichte. Vielleicht
hatte er sich aber auch getäuscht, und D’Arcy existierte
gar nicht.
Fünf Minuten später schlug Melissa die Augen auf.
»Wann fangen wir an?« wollte sie wissen.
Andrews grinste sie an. »Wir haben nicht nur
angefangen, wir sind schon wieder fertig.«
Überrascht riß Melissa die Augen weit auf. »Wirklich?
Warum kann ich mich dann an nichts erinnern?«
»Na ja«, schmunzelte Andrews. »Allzuviel ist ja nicht
passiert. Ich habe versucht, mit D’Arcy zu reden, aber sie
traut mir wohl noch nicht. Sie ist überhaupt nicht zum
Vorschein gekommen.«
Melissa schien in sich zusammenzufallen. »Hab’ ich was
falsch gemacht?« fragte sie bestürzt.
»Überhaupt nicht«, versicherte Andrews ihr eilig. »Es
dauert nun mal eine Weile, das ist alles. Aber du könntest
mir einen Gefallen tun.« Melissa sah ihn fragend an.
»Wenn sie das nächstemal zu dir kommt, sag ihr doch
bitte, daß sie sich ruhig auch mit mir unterhalten kann.«
»Und wenn sie nicht will …«
»Wenn sie nicht will, muß sie auch nicht«, meinte
Doktor Andrews mit einem Achselzucken und lehnte sich
zurück. Dann kam ihm ein anderer Gedanke: »Unterhältst
du dich jemals in der Stadt mit D’Arcy?«
Melissa sah ihn vollkommen verblüfft an. »Wie soll das
denn gehen? Sie lebt ja hier draußen.«
Andrews nickte. Und hier draußen ist dein Vater unter
der Woche nicht da, dachte er. Hier draußen bist du deiner
Mutter ausgeliefert, und dann brauchst du D’Arcy am
meisten. Er drückte auf einen Knopf auf seinem
Schreibtisch. Im nächsten Augenblick kamen Charles und
Phyllis herein. »Das wäre alles für heute«, erklärte er
Melissa. »Ich unterhalte mich noch kurz mit deinen Eltern,
und dann kannst du heimgehen.«
Melissas Augen flackerten zu ihrer Mutter hinüber, doch
sie sagte nichts. Hastig lief sie zur Tür hinaus.
Doktor Andrews schenkte ihren Eltern ein
aufmunterndes Lächeln. »Tja, ich sehe da einige
Probleme, aber nichts, was sich nicht aufarbeiten ließe.
Melissa hat in den letzten Wochen unter enormer
Anspannung gestanden.«
»Wir alle haben unter Anspannung gestanden, Doktor
Andrews«, unterbrach ihn Phyllis.
Doktor Andrews hielt eine Hand abwehrend hoch.
»Da haben Sie vollkommen recht«, pflichtete er ihr bei.
»Aber im Augenblick weiß ich noch nicht genau, was in
Melissa vorgeht. Ich habe ein, zwei Theorien dazu,
möchte mich aber eingehender mit ihr unterhalten.«
»Theorien?« wiederholte Phyllis. »Was für Theorien
denn?«
Seufzend zwang Andrews sich zu einem Lächeln.
»Solange ich mir nicht im klaren bin, kann ich mich
wirklich nicht darüber auslassen. Machen Sie sich bitte
keine unnötigen Sorgen. Dazu besteht keinerlei Anlaß.«
»Aber was sollen wir denn tun?« drängte Phyllis.
»Wenn sie mit dem Schlafwandeln nicht aufhört …«
»Ich glaube nicht unbedingt, daß das wirklich
geschieht«, fiel Andrews ihr ins Wort. »Es kann etwas
ganz anderes sein, mit dem ich mich noch befassen
möchte. Vorläufig halte ich es für das beste, sie in Ruhe zu
lassen.

Weitere Kostenlose Bücher