Teuflische Schwester
wachte am nächsten Morgen um halb
sieben auf. Sie wälzte sich auf die andere Seite, fort vom
hereinflutenden Sonnenlicht, und schlug die Augen auf.
Sie hatte einen Traum gehabt. Einen wunderschönen
Traum vom Vollmondball. Ihre Tochter war das schönste
Mädchen von allen gewesen. Ganz stolz hatte sie ihr beim
Tanz mit Brett Van Arsdale zugesehen. Und all die
Frauen, die ihr von Anfang an mit ihren feinen und damit
noch viel verletzenderen Stichen das Leben systematisch
zur Hölle gemacht hatten, scharten sich plötzlich um sie
und überschütteten sie mit Komplimenten. Sie hingen
geradezu an ihren Lippen, damit ihnen auch kein Wort
entging.
In diesem Traum war Teri MacIver ihre Tochter
gewesen.
Sie blieb noch ein bißchen liegen. Jede Einzelheit war
ein Labsal. Dann fiel ihr wieder das Gespräch mit Teri von
gestern nacht ein.
Von Gesprächen dieser Art konnte jede Mutter nur
träumen.
Bei Melissa dagegen war ihr dergleichen immer
verwehrt geblieben.
Mit einem Stoßseufzer warf sie die Bettdecke von sich
und stand auf. Sie zog ihren Morgenrock an und trat in den
Flur. Vor Teris Tür blieb sie stehen. Ganz sachte klopfte
sie an. Vielleicht antwortete ihre Stieftochter, und dann
blieb ihr Melissa noch für ein paar Minuten erspart. Da sie
aber keine Antwort erhielt, ging sie zur nächsten Tür. Sie
klopfte nur kurz an und trat sofort ein.
Stirnrunzelnd blieb sie noch im Türrahmen stehen.
Melissa lag auf der Seite und schlief fest. Den linken
Arm hatte sie unter das Kissen geschoben.
Erbost stürmte Phyllis zum Bett und riß das Laken
beiseite.
Die Fesseln – die Lederriemen und die Nylonschnüre,
die sie garantiert fest zugeknotet hatte – lagen
durcheinander auf der Matratze.
»Melissa?« rief Phyllis. »Melissa!«
Ihre Tochter regte sich, dann wälzte sie sich auf die
andere Seite. Das Kissen zog sie sich über den Kopf.
Phyllis entriß ihr das Kissen und schüttelte sie heftig an
der Schulter. Melissa schreckte mit weit aufgerissenen
Augen hoch. Als sie ihre Mutter erkannte, wich sie bis zur
Wand zurück.
»Schau dir das an!« befahl Phyllis und deutete auf die
Gurte.
Melissa starrte erst die Fesseln an, dann richtete ihr
Blick sich langsam auf Phyllis.
»Ich hab’ sie nicht abgemacht, Mama«, fing sie an. »Wie
hätte ich das …«
»Wer denn dann?« fuhr Phyllis sie gefährlich laut an.
Melissa zog den Kopf ein. So weit es ging, drückte sie
die Knie bis an die Brust.
»Ich habe dir eine Frage gestellt, Melissa. Ich erwarte
eine Antwort.«
Melissas Augen flackerten über das Zimmer, als suche
sie ein Schlupfloch. Aber es gab keines. »D-D’Arcy«,
stammelte sie. Auf der Stelle bereute sie, den verbotenen
Namen ausgesprochen zu haben, doch es war zu spät.
»D’Arcy?« spuckte ihre Mutter. »Ich dachte, den Unsinn
hätten wir endgültig hinter uns.«
Melissa schluckte. In ihrer Kehle hatte sich wieder ein
dicker Klumpen gebildet, den sie nicht los wurde. »Ja,
Mom«, flüsterte sie.
»Wer war es dann? Wer hat dir die Riemen abgemacht?«
Melissa zitterte am ganzen Leib. Sie brachte nur ein
hilfloses Kopfschütteln zuwege.
Phyllis beugte sich drohend über ihre Tochter. Sie holte
mit der Hand zum Schlag aus. Coras Stimme hielt sie
jedoch davon ab.
»Oh, das tut mir leid, Ma’am«, murmelte die
Haushälterin in der Tür. »Ich wußte nicht, daß Sie schon
wach sind.«
Phyllis wirbelte herum. »Ach ja? Hast du das vielleicht
getan, Cora? Hast du die Riemen losgemacht? Wolltest du
dich jetzt hereinschleichen und sie schnell wieder
anlegen?«
Cora wich einen halben Schritt zurück. Der Vorwurf traf
sie wie ein Schlag ins Gesicht. »Aber nein, Ma’am«,
murmelte sie. »Ich käme nie auf so eine Idee! Ich …«
»Ach nein?« schnitt ihr Phyllis mit hohntriefender
Stimme das Wort ab. »Wenn nicht, wäre es
wahrscheinlich das erstemal, daß du eine Anweisung von
mir befolgt hättest. Ich kann beim besten Willen nicht
verstehen, warum Charles dich unbedingt behalten will.«
Mit diesen Worten schritt sie zur Tür. Die alte
Haushälterin trat hastig beiseite. »Darüber werden wir uns
noch unterhalten, Cora«, drohte Phyllis im Vorbeigehen.
Eine Minute später schenkte sie sich im Eßzimmer eine
Tasse Kaffee ein. Teris Stimme ließ sie auf einmal
erschreckt herumfahren.
»Stimmt was nicht, Phyllis?«
»Ach, es ist nur wegen Cora. Sie ist letzte Nacht in
Melissas Zimmer gegangen und hat …« Sie biß sich
mitten im Satz auf die Zunge.
Blitzartig fuhr Teris Hand vor den
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