Teuflische Schwester
Schreck wußten sie nicht, aus welcher
Richtung der Schrei gekommen war, doch dann spurtete
Kent los. »Das war hinter dem Haus!« rief er Jeff zu, der
ihm zögernd folgte. Kent brauchte gar nicht auf das
Gelände unter seinen Füßen zu achten, denn er kannte es
wie seine Westentasche. Hinter dem Haus brachte die
Außenlampe etwas Licht in das undurchdringliche Grau
des Nebels. Kents Vater trat im Bademantel auf die
Veranda.
»Kent?« rief Owen Fielding. »Bist du das?«
»Ich bin hier, Vater!« rief Kent. »Wir haben einen Schrei
gehört!«
In diesem Augenblick kamen Ellen Stevens und Cyndi
Miller weinend auf die Veranda gewankt und stürzten
Mr. Fielding in die Arme.
»Ellen? Cyndi?« rief Owen. »Was habt ihr denn? Habt
ihr so geschrien?«
Cyndi war noch ganz außer Atem. »W-wir haben etwas
gesehen!« keuchte sie. »Im Wald!«
Jeff und Kent traten ungläubig näher. »Wie bitte?« rief
Kent und warf Jeff einen vielsagenden Blick zu. Um seine
Mundwinkel spielte bereits ein höhnisches Grinsen.
Cyndi starrte die Jungen entgeistert an. Jeff trug einen
weißen Jogginganzug. Hatte sie sich vorhin vielleicht
getäuscht. Ohne auf seine Frage einzugehen, stellte sie
eine Gegenfrage: »Sag mal, wart ihr das vorhin im Wald?«
Kent hörte auf zu grinsen. »Wir sind eben vom Strand
gekommen. Wir mußten doch das Feuer austreten. Weißt
du das nicht mehr?«
Ellen sah zu Owen Fielding auf. Sie hatte sich soweit
erholt, daß sie wieder sprechen konnte. »Wir haben was
im Wald gesehen«, erklärte sie. Ihr Blick wanderte zu
Cyndi, als flehte sie um Beistand. »Es … es sah aus wie
ein Gespenst.« Die eigenen Worte kamen ihr jetzt nicht
mehr wirklich vor. Jetzt waren sie ja in Sicherheit, und die
Dunkelheit verlor im Schein der Außenlampe ihren
Schrecken. »Zumindest sah es so aus wie …«
»Es sah aus wie D’Arcy!« unterbrach sie Cyndi Miller.
Ihre Stimme klang jetzt wesentlich fester. Herausfordernd
sah sie dem Spötter Kent in die Augen.
»Aber klar doch!« sagte Kent gedehnt. »Wir haben am
Strand gesessen und uns bis zum Monduntergang
Geistergeschichten erzählt. Da habt ihr eben soviel Angst
bekommen, daß ihr jeden Busch für ein Gespenst gehalten
habt.«
»Das stimmt nicht!« wehrte sich Cyndi. »Sag du ihnen,
was wir gesehen haben, Ellen!«
»Es … es sah aus wie ein Mädchen«, stotterte Ellen.
»Erst war sie vor uns, und wir waren uns nicht so sicher.
Sie ist im Nebel verschwunden. Drum sind wir
weitergegangen. Und plötzlich haben wir etwas in
unserem Rücken gehört …«
»Es war wie ein Stöhnen oder so was«, fiel ihr Cyndi ins
Wort. »Richtig unheimlich.«
Ellens Blick richtete sich auf Owen Fielding. »Wir
haben uns umgedreht, und da haben wir sie gesehen. Es
war ein Mädchen in einem weißen Kleid und mit einem
Schleier vor dem Gesicht.«
»Sie hat uns angestarrt!« rief Cyndi. Bei der Erinnerung
fing sie wieder zu zittern an. »Und dann – hat sie auf uns
gezeigt!«
Da Kent überheblich von einem Ohr zum anderen
grinste, wandte sie sich an seinen Vater. »Es ist wahr,
Mr. Fielding! Das haben wir wirklich gesehen! Sie
glauben uns doch, oder?«
Owen Fielding zwickte sie aufmunternd in den Arm.
»Tja«, meinte er. »Auf alle Fälle glaube ich, daß ihr
glaubt, daß ihr das gesehen habt. Aber bevor wir uns hier
draußen zu Tode ängstigen, gehen wir lieber rein und
trinken erst mal einen Kakao. Und dann fahre ich euch
heim.« Er machte eine kleine Pause. Wie er erwartet hatte,
regte sich keinerlei Protest, obwohl die Mädchen nur
wenige hundert Meter von seinem Grundstück entfernt
wohnten.
»Kommt ihr auch mit rein, Jungs?« fragte er Kent und
Jeff, die unschlüssig stehengeblieben waren.
Kent warf einen zögernden Blick auf Jeff, dann
schüttelte er den Kopf. »Ich … ich schaue wohl lieber mal
genau nach.«
»Na denn, viel Spaß«, schmunzelte Owen Fielding.
»Seid aber vorsichtig«, fügte er mit einem schalkhaften
Grinsen hinzu. »Am Ende haben die Mädchen vielleicht
doch recht. Wenn D’Arcy wirklich da draußen ist,
schnappt sie euch womöglich noch.«
Nach einer halben Stunde kamen die Jungen
unverrichteter Dinge zurück. Der Nebel hatte sich wieder
geschlossen, so daß sie die Hand kaum vor Augen gesehen
hatten.
Sie hatten nichts gesehen.
Sie hatten nichts gehört.
Und doch wurden sie das unheimliche Gefühl nicht los,
daß jemand – den sie weder gesehen noch gehört hatten –
sie die ganze Zeit beobachtet hatte.
Phyllis Holloway
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