Teuflische Stiche
diese Nacht möglicherweise in einer fremden Wohnung übernachten würde. Oder pennte er irgendwo hinter einem Bushäuschen seinen Rausch aus?
Das leise Rascheln des Windes im Laub des Vorjahres brachte eine andere Seite in Konnert zum Schwingen. Die Erinnerung an den gestrigen Abend mit Zahra hier auf dem Friedhof weckte erneut die Sehnsucht nach ihr. Er ging schon in dieselbe Richtung wie am Vortag, als es ihm wie Verrat vorkam, auf derselben Bank zu warten, auf der er mit Zahra gesessen hatte. Er wendete sich nach rechts. Der Freiherr wird mich schon finden. Am Zaun zur Friedhofsverwaltung fand er einen Platz unter Linden. Kurze Zeit später wehte Pfeifenqualm den Weg entlang. Das eintönige Rauschen von der Autobahn mischte sich mit dem Säuseln des Windes in Bäumen und Büschen. Mäuse raschelten im trockenen Laub. Oder waren es Ratten, die im Friedhofsabfall nach Nahrung suchten? Eine Katze überquerte den Weg und blieb stehen. Ihre Schwanzspitze zuckte. Sie prüfte, ob für sie eine Gefahr von dem Mann auf der Bank ausging. Dann wendete sie sich ab, um beruhigt ihre Jagd fortzusetzen.
Konnert schreckte zusammen. Von der anderen Seite des Zauns hörte er: »Sie sollten allein kommen.«
»Ich bin allein.« Konnert drehte sich um. Über ihm, auf der Rampe für die Lkws, die mit dem Biomüll des Friedhofs beladen wurden, hob sich die mächtige Silhouette Sibelius von Ecks im Kutschermantel gegen den Nachthimmel ab.
»Unter der Autobahnbrücke bemühen sich ein typischer Polizist und zwei Sanitäter es so aussehen zu lassen, als versorgten sie einen Jugendlichen. Was soll das Theater?«
»Davon weiß ich nichts.«
»Ich habe Sie für klüger und vor allem für verlässlicher gehalten.« Geräuschlos verschwand Sibelius von Eck im Dunkeln.
»Ich bleibe hier!«, rief Konnert ihm nach, ohne viel Hoffnung zu haben, von Eck käme zurück. »Merde.«
Konnert suchte in seiner Manteltasche einen Pfeifenstopfer und drückte den Tabak an. Er hielt sein brennendes Feuerzeug bewusst lange über den Pfeifenkopf vor seinem Gesicht. Dann paffte er und wartete. Die Katze kreuzte wieder den Weg, blieb stehen und wunderte sich wahrscheinlich, dass der Mensch noch immer da saß.
Eine unerklärliche Gewissheit sagte Konnert: Bleib sitzen. Von Eck kommt zurück. Nutz die Zeit und sprich mit Gott. Sein inneres Empfinden signalisierte ihm, ruhig zu sein und abzuwarten.
Eine Pfeife war leer geraucht.
Ihn fröstelte. Er zog eine nächste Pfeife aus der Kollektion von Darius Christian aus dem kleinen Etui, stopfte sie bedächtig und ließ das Feuerzeug aufflammen. Im Gebüsch, rechts hinter ihm, raschelte etwas im Laub. Nur wieder die Mäuse? Was sich da bewegte, musste nach seiner Einschätzung aber deutlich schwerer sein, auch schwerer als eine Katze. Gab es Wildschweine auf dem Friedhof? Schritte kamen über den Kiesweg auf ihn zu. Mit einer weit ausholenden Handbewegung, zu der sonst ein Zylinder gehörte, und einer vollendeten Verbeugung stellte er sich vor: »Freiherr Sibelius Balthasar von Eck. Zu Ihren Diensten.«
»Kriminalhauptkommissar Adi Konnert. Was kann ich von Ihren Diensten erwarten?« Konnert spielte mit. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, nehmen Sie bitte neben mir Platz.« Er hielt ihm die Hand zur Begrüßung hin, doch von Eck ignorierte sie, zögerte eine Sekunde und setzte sich so weit abseits, wie es die Bank zuließ.
»Unter der Brücke ist niemand mehr, daher gehe ich jetzt das Risiko ein, mit Ihnen zu sprechen.«
»Sie wollten mit mir sprechen.« Konnert kehrte zu seinem normalen Sprachgebrauch zurück. Er ließ die Pfeife ausgehen.
Von Eck erzählte bereitwillig und ausführlich, was Konnert schon von Alois Weis erfahren hatte. Nach zwanzig Minuten war es dann so weit, dass Konnert präzise nachfragte: »Wo sind Sie am Dienstag der vergangenen Woche gewesen?«
»Bis gegen achtzehn Uhr auf meinem üblichen Platz gegenüber von Onken. Das sollten Sie nachprüfen können. Als ich in meine Wohnung gekommen bin, hat Renate auf meinem Sofa gelegen. Es ist ihr nicht gut gegangen, und sie musste sich ständig übergeben. Sie hat erzählt, Addiksen und Schäperklaus hätten sie bis in meine Wohnung verfolgt und dann vergewaltigt. Nachdem sie keine Kraft mehr gehabt habe, sich weiter zu wehren, habe sie alles über sich ergehen lassen, bis sie bewusstlos geworden sei. Als sie aufgewacht sei, seien die beiden weg gewesen. Ich habe sie gefragt, ob sie ein Schmerzmittel haben wolle. Sie hat mir gesagt, sie
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