Teuflische Stiche
nicht, Konnerts Aufmerksamkeit zu erreichen. Er war zu sehr mit sich und seiner Familie und den beiden Menschen neben sich beschäftigt.
Erst das Gebet zum Abendmahl, am Schluss des Gottesdienstes, holte ihn in die Gegenwart zurück. Automatisch las er die Liturgie im Gesangbuch mit: »Noch ist vieles in uns, das uns festhalten will.« Dann wurde ihm bewusst, was er sagte. »Ordne unsere umherschweifenden Gedanken. Stille unsere inwendige Unruhe. Beruhige unsere äußere Unrast.«
Er schloss die Augen. Sofort entstand ein Bild in seinem Inneren. An einem Hang standen dunkelgrüne Fichten auf der linken Seite. Rechts lag ein langgestreckter See, an dessen fernem Ufer Wiesen im Sonnenlicht zu sehen waren. Vor ihm, zwischen Wald und See, führte eine schmale Straße entlang. Auf eine merkwürdige Weise kam ihm der Weg vertraut vor.
Minuten später stand er neben Zahra und Maria vorn beim Abendmahlstisch und ergriff, als wäre es das Normalste von der Welt, Zahras Hand. Er hielt sie fest, bis sie Brot und Wein empfangen hatten.
Später, beim Spaziergang im Schlossgarten, kam es ihm so vor, als hätte er der Gemeinde seine Verlobung mit Zahra bekanntgegeben.
***
Das ganze Haus roch nach Fisch. Es gab Kabeljaufilet in Senfsoße mit kleinen Salzkartoffeln unter feingehacktem Dill und einem Spritzer Zitronensaft. Die Schwester der schönen Gertrud hatte das traditionelle Karfreitagsmenü zubereitet. Obwohl sie weder katholisch noch irgendwie kirchlich eingebunden waren, wurde aus Tradition vor Ostern gefastet. Aus Anlass des Todestages Jesu sollte es auf jeden Fall ein besonderes Essen sein. Immer Kabeljaufilet mit Senfsoße, und dazu gehörte selbstverständlich ein trockener Weißwein. Nur sechs Wochen vor Kriegsende hatte ihre Mutter keinen Kabeljau organisieren können. Sie betrachtete es als persönliche Niederlage, den Brauch einmal unterbrochen zu haben.
Die Schwestern hatten das Geschirr aus dem Esszimmer in die weiträumige Küche getragen. Sie wuschen gemeinsam ab. »Mach zu«, drängelte die ältere.
Die schöne Gertrud legte das Trockentuch weg. »Ich lass mich nicht hetzen.« Dann nahm sie es doch wieder zur Hand und beeilte sich.
» Du willst die ganze Zeit etwas sagen. Raus mit der Sprache! Ich bin alt genug, um mit deinen Flausen oder krausen Meinungen umgehen zu können.«
» Wir haben bereits einmal darüber gesprochen. Sibelius weigert sich, zur Polizei zu gehen. Er braucht ein sicheres Versteck. Ich wundere mich sowieso schon, dass die Bullen noch nicht bei mir aufgetaucht sind.«
» Red hier keine Gossensprache. Ist der Bettler denn bei dir?«
» Nein. Aber er hat angerufen und gefragt, ob ich eine Bleibe für ihn auftreiben könne. Sonst müsse er doch wieder in seine Wohnung. Er rechnet aber damit, dass die Polizei dort nach ihm suchen wird.«
» Lass uns erst einmal den restlichen Tag miteinander verbringen.«
Die schöne Gertrud empfand das als Erpressung und biss die Zähne zusammen.
***
Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag schubste Bernd Venske die Tastatur mit einem Ruck von sich. Irgendwo muss doch etwas über sie zu finden sein. Im Internet steht über jeden westlichen Bürger etwas.
Er hatte schon ihren Namen eingegeben, dann ihren Beruf, auch eine Kombination aus Geburtsort und Geburtsdatum. Nichts. Man kann doch nicht alle eigenen Daten löschen.
Es dauerte eine weitere Stunde, bis er auf die erste Spur stieß. Eine Dreizeilennotiz in einem Magazin für Richter und Anwälte. Die Ehe der Staatsanwältin am Amtsgericht Leipzig, Dorothee Lurtz-Brämisch, mit dem Richter am Amtsgericht Leipzig, Wolfgang Brämisch, wurde am 4. April 2008 vom Familiengericht geschieden.
Aha! Vierter April! Fünfter Jahrestag. Keine roten Rosen, nur Dornen. Jetzt habe ich dich.
Seine Finger flogen über die Tastatur. Die Liste der Notizen auf dem Spiralblock neben dem Laptop wurde länger und länger. Mit jedem zusätzlichen Stichwort verbesserte sich seine Laune. Du reißt deinen Rachen am Dienstag nicht mehr so weit auf.
Es hätte für Venske ein rundum toller Feiertag werden können, wenn Stephanie die Einladung zu einem Essen im angesagten Mephisto, gleich um die Ecke beim Präsidium, angenommen hätte.
So saß er allein vor seinen Schweinemedaillons im Speckmantel. Er plante seine Attacke gegen die Staatsanwältin. Und zwischendurch grübelte er darüber nach, warum sich ein klasse Restaurant nach einem Teufel nennt, dessen Namen mit finsterer, stinkender Zerstörer übersetzt werden
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