Teuflische Stiche
er zum Kühlschrank, aber die Vorräte an Alkohol waren erschöpft. Wütend warf er die Tür zu. Durch die Scheibengardinen sickerte das erste Licht des Tages. Er sah sich um. Die angetrockneten Essensreste am Geschirr ekelten ihn. Über Stuhllehnen und Heizung hingen die Kleidungsstücke der Frau in seinem Bett zum Trocknen. Sein Blick blieb an ihrer ausgebleichten Unterwäsche hängen. Ihn widerte sein Leben ein weiteres Mal an.
Hinter dem Stuhl am Fenster stapelten sich die Einkaufstaschen der Frau. Er wuchtete die Beute hoch und kippte leise den Inhalt auf den Tisch. Leergut und ein Paar Schuhe mit schiefen Absätzen, drei sauber gefaltete Kinderpullover und eine kleine blaue Jeans fielen heraus. Ein grünes Neues Testament der Gideons und ein abgegriffenes Fotoalbum wurden von einem Einmachgummi zusammengehalten. Er riss den Gummiring ab und blätterte die Seiten auf. Lachende Gesichter auf einem Familienfoto sahen ihn an. Kinderbilder folgten. Ein Mädchen auf Inlinern und zwei Jungen, sicher Zwillinge, nebeneinander mit ihren Schultüten. Und erneut ein Bild der Frau im Kreis ihrer Kinder. Im Hintergrund der Ehemann. Ein Passfoto von ihm. Mit wütend gekritzelten Strichen waren die Augen unkenntlich gemacht worden.
» Was machst du da?«, kreischte die Frau und ging mit erhobenen Fäusten auf Addiksen los. Ehe er sich versah, trafen ihn Schläge im Gesicht und an der Schulter. Sein Bluterguss schmerzte wieder.
Er hatte Mühe, ihre Arme zu fassen. Als er sie zu packen bekam, zwang er sie vor sich in die Knie. »Du verdammtes Miststück. Was fällt dir ein? Ich lass dich hier übernachten und zum Dank schlägst du auf mich ein.« Er umklammerte ihre Handgelenke mit aller Kraft.
» Du tust mir weh!«, wimmerte sie
» Ich brauche was zu trinken. Hast du Geld?«
» Lass mich los!«
Er stieß sie heftig von sich. Sie blieb auf dem Rücken liegen. Einen Moment lang glotzte er ihre Nacktheit an. Dann stieg er mit einem großen Schritt über sie hinweg, rannte ins Badezimmer und übergab sich.
Die Frau sammelte ihre noch klamme Kleidung ein, zog sich an und stopfte mit flinken Handgriffen ihre bescheidenen Habseligkeiten zurück in die Plastiktüten. Als sie sich umdrehte, versperrte Addiksen ihr den Weg.
Mit verzerrtem Gesicht stand er da und schrie sie an: »Ich brauche was zu trinken! Ich frag dich ein letztes Mal. Hast du Geld?«
Sie reagierte mit einem schwachen Kopfschütteln.
» Du lügst! Wo?« Er kam auf sie zu und hob seine Hand.
Sie wich zurück und stieß sich am Tisch. »Schlag mich nicht. Bitte nicht.«
Die Plastiktüten beachtete er nicht. Ohne zu fragen untersuchte er den Rucksack und fand ihre Börse. Das Hartgeld zählte er in der offenen Hand. 11 Euro und 73 Cent. »Deine Sachen bleiben hier. Und du gehst und holst was zu trinken. Der Kiosk an der Ecke hat ab acht geöffnet. Bring Brötchen, Wurst und Käse mit. Zigaretten nicht vergessen.«
Tränen traten in ihre Augen.
» Heul nicht! Nun mach schon!«
Ihre Siebensachen hinter sich, saß Addiksen breitbeinig am Tisch. Ein Bier, der Flachmann Korn und das belegte Brötchen hatten seinen Zorn besänftigt. Die Frau hatte nur Kaffee getrunken. Als wäre zwischen ihnen alles in Ordnung, begann Addiksen zu plaudern. Sie antwortete einsilbig.
«Nun komm schon. Mach bloß kein großes Theater aus dem vorhin.«
» Ich will jetzt gehen«, flüsterte sie.
» Was mich interessiert, ist die Frage, die du gestern Abend gestellt hast. Was hat Renate dem Ledernen zu bieten, was die schöne Gertrud nicht hat?«
» Gib mir meine Sachen und lass mich bitte gehen.«
» Du weißt doch was. Verrat es mir und du kriegst deinen Krempel.«
Sie zögerte, fügte sich dann aber. »Der Lederne hat mich mal gefragt, ob ich Lust hätte, an einem Experiment teilzunehmen. Ich habe abgelehnt. Vielleicht hat die schöne Gertrud auch nicht gewollt. Vielleicht hat Renate ja zugestimmt.«
» Was meinst du mit Experiment?«
» Das weiß ich nicht. Ich habe ja nicht mitgemacht.«
» Aber du hast doch eine Vermutung.«
» Gib mir meine Sachen. Wenn ich etwas rauskriege, dann sage ich es dir.«
Er stand auf und warf ihr die Taschen und den Rucksack vor die Füße.
***
Als er am Backshop vorbeifuhr, dachte Konnert an Gregor Geiger. Wir werden rechtzeitig zu dir kommen und dich befragen. Aber heute ist ein wichtiger Feiertag für mich.
Er bat Zahra, ihre in der vergangenen Nacht begonnene Erzählung fortzusetzen. Aber sie wusste nicht mehr, was sie alles hatte
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