Teuflische Stiche
mitteilen wollen. Auch den Fehler, den er einen Tag vorher beim Frühstück begangen hatte, wollte er nicht wiederholen und hielt sich mit dem Reden zurück. So ergaben sich längere Gesprächspausen, in denen er Zahra zusah, wie sie Honig auf eine Brötchenhälfte träufelte oder ihren Kaffee umrührte und verklärt lächelte, wenn sie aufblickte. Ihre tiefbraunen Augen faszinierten ihn. In ihr sonst zu jeder Zeit fröhliches, unbefangenes Lachen hatte er sich verliebt. Er wäre so gerne aufgestanden, hätte mit Wonne ihre schulterlangen schwarzen Locken mit seinen Fingern durchkämmt und ihr Gesicht in seinen Händen gehalten, um sie zu küssen. Er traute sich nicht.
Wie schon ein paar Mal zuvor schoss ihm der Vorwurf seines Sohns durch den Kopf: Sie könnte deine Tochter sein. Sie ist es aber nicht, sagte er sich trotzig. Sie ist die Frau, die ich liebe. Aber ich habe es ihr noch nicht gesagt. Jetzt? Vielleicht ergibt sich heute Abend eine bessere Gelegenheit. Er trank seinen Kaffeebecher leer und setzte ihn, wie um einen Schlusspunkt unter seine Gedanken zu setzen, härter auf die Untertasse als beabsichtigt.
» Adi, es kommt mir so vor, als würdest du Abstand von mir halten.«
Mit beiden Händen auf der Tischplatte erhob er sich und ging zu ihr. Sie sah zu ihm auf und wartete auf ein Wort von ihm. Stumm zog er sie sanft an sich. Wange an Wange standen sie da.
» Ich liebe dich, Adi Konnert.«
» Ich weiß, Zahra, ich weiß.« Die Tapeten verschwammen vor seinen Augen. Seine Arme hielten Zahra fest. Über ihre Schulter hinweg murmelte er gegen die Wand: »Ich bin ein altmodischer Mensch, Zahra. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es als unschicklich galt, wenn ein Mann in meinem Alter mit einer so jungen Frau wie dir …«, er brach ab. Ich bin nicht altmodisch, ging es ihm durch den Kopf, ich bin feige. »Du bist so jung, so lebendig, so unkompliziert, so schön.« Er blinzelte die Tränen weg und atmete tief durch. »Zahra, wenn ich an die Zukunft denke, an deine Zukunft, an eine gemeinsame, dann ...« Er hielt sie ein wenig von sich ab. »Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen darf, ich meine, was ich verantworten kann … ich möchte … ich … du …« Als müsse er sie vor irgendeinem Unheil abschirmen, legte er seine Arme wieder um sie, presste sie an sich und verbarg sein Gesicht in ihren Locken. Ruhig lag ihr Kopf an seiner Schulter. Ist es ihr Herzschlag, den ich spüre, oder mein eigener? Wer behütet hier eigentlich wen?
***
Zahra hatte sich mit ihrer Mutter an der Friedenskirche verabredet. Zehn Minuten vor Beginn des Gottesdienstes wollten sie sich treffen. Mit Konnert stand sie am Rand des Denkmals für die Opfer des Krieges 1870/71 und blickte ungeduldig in Richtung Ofenerstraße. Die Glocken der nahen Kirche St. Peter hörten auf zu läuten, aber kein Auto mit Bremer Kennzeichen bog in die Peterstraße ein.
«Machst du dir Sorgen, dass ihr etwas passiert sein könnte?«
» Überhaupt nicht. Meine Mama wird zu spät aufgestanden sein. Sie ist Afrikanerin, und in Afrika beginnen die Gottesdienste, wenn alle da sind. Wir sind doch keine Sklaven des Uhrzeigers.« Sie zeigte ihr wunderbares Lachen. Und dann hupte plötzlich ein Seat und fuhr an ihnen vorbei. »Jetzt muss sie nur noch einen Parkplatz finden.«
» Es gibt verschiedene Autobahnabfahrten«, entschuldigte sich Maria Yaméogo. »Ich bin da abgebogen, wo ich immer abbiege, wenn ich dich besuche, und musste nach dem Weg hierher fragen.«
Die hinteren Bänke waren besetzt. Sie warteten im Eingang, bis ein Lied gesungen wurde, und schlichen den Gang entlang zu drei freien Plätzen auf der rechten Seite. Konnert meinte, das Schaben von Haut in den Blusen und Hemdkrägen hören zu können. Als er saß und sich umdrehte, entdeckte er seinen Sohn mit Familie. Sie sahen in ihre Gesangbücher wie alle anderen auch. Zwei Reihen weiter links saß seine Tochter. Sie sang nicht mit. Konnert presste die Lippen aufeinander.
Sie hatten vergessen, sich Gesangbücher zu nehmen. Freundlicherweise wurde ihnen ein schon aufgeschlagenes Buch aus der Bank hinter ihnen gereicht. Als Konnert endlich die richtige Textzeile gefunden hatte und mitsingen wollte, war der Gesang zu Ende.
Bei der Predigt lehnte sich Zahra an ihn, nahm seine Hand und hielt sie auf seinem Knie fest.
Pastor Többens predigte lebhaft über den bekannten Text der Kreuzigung Jesu. Er stellte die für alle Menschen positiven Aspekte plastisch heraus. Dennoch gelang es ihm
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