Teuflischer Sog
Männer, die es hörten, kicherten belustigt.
»Alles bereit, Sarge«, rief der Soldat, der die Leiter aufgestellt hatte.
Espinoza kletterte als Erster hinauf, während zwei Männer die Leiter für den Fall einer Windbö festhielten. Er hatte seine Schutzhandschuhe dergestalt modifiziert, dass er den Zeigefinger von der dicken Hülle befreien konnte, und als er in diesem Augenblick seine Pistole aus dem Holster holte, konnte er den Finger durch den Abzugsbügel schieben. Er blickte über das Seitendeck und sah ein Durcheinander von allerlei losem Gerümpel, Ölfässern und ausgemustertem nautischen Gerät. Doch nirgendwo gewahrte er eine Bewegung, daher kletterte er über die Reling und gab dem nächsten Mann ein Zeichen, ihm zu folgen.
Der Wind pfiff durch das nächste Krangerüst und erzeugte ein schrilles Jaulen, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Es klang wie eine Totenklage. Er sah zum Brückenfenster hinauf, bemerkte dort jedoch nichts – außer dem Spiegelbild des Himmels.
Momente später befand sich Raul an seiner Seite, gefolgt von Lugones. Der Sergeant hatte eine Maschinenpistole bei sich, unter deren kurzem Lauf eine leistungsstarke Stablampe befestigt war. Sie überquerten das Deck, bewegten sich vorsichtig, wobei immer einer das weitere Vordringen des anderen sicherte. Im vorderen Schott gab es unter der Kommandobrücke keine Luken, daher wechselten sie zur Steuerbordreling hinüber und bewegten sich nach achtern. Dort fanden sie eine Tür, nicht weit von der Reling entfernt. Über ihnen reckten sich die skelettartigen Arme des leeren Davit. Von jedem hing ein Stahlkabel herab.
Jimenez löste die Verriegelung. Er sah Espinoza an, und als dieser nickte, zog er die Tür auf. Sergeant Lugones hielt seine Waffe schussbereit.
Der Gang hinter der Tür war dunkel, daher knipste er seine Lampe an. Der Farbanstrich im Schiffsinneren wirkte genauso mangelhaft wie draußen. Der Linoleumboden war fleckig und abgewetzt und sah aus, als hätte er noch niemals einen Putzbesen gesehen.
Ihr Atem bildete weiße Wolken um ihre Köpfe herum.
»Scheint so, als sei niemand zu Hause.«
»Gut beobachtet, Leutnant. Gehen wir mal zur Kommandobrücke. Falls es eine Erklärung für dieses Rätsel gibt, dann finden wir sie sicherlich dort.«
Die Männer stiegen mehrere Decks hoch und warfen dabei prüfende Blicke in den einen oder anderen Raum. Der Art und Weise nach zu urteilen, wie die Möbel herumgeschoben worden waren, musste das Wrack ziemlich schweres Wetter gesehen haben. Betten waren umgekippt, zahlreiche Möbelstücke zu Bruch gegangen. Von der Mannschaft fanden sie keine Spur, ob lebendig oder tot.
Die Kommandobrücke war breit und – auf Grund der Salzschicht auf den Fenstern – düster. Auch dort fanden sie niemanden, doch auf dem Kartentisch hinter dem Steuerstand war ein Bogen Papier in einer transparenten Plastikhülle mit Klebeband befestigt worden.
Lugones benutzte sein Kampfmesser, um die Hülle loszuschneiden, und reichte sie seinem Vorgesetzten.
Espinoza las laut vor: »›An jeden, der dies findet. Wir waren gezwungen, die Norego aufzugeben, weil die Pumpen versagten und die See durch ein Leck im Rumpf eindrang, das von einer Monsterwelle geschlagen wurde. Chefingenieur Scott versuchte alles, was in seiner Macht stand, aber die Pumpen ließen sich nicht mehr starten. Es war keine leichte Entscheidung. Dies sind trügerische Gewässer, weit entfernt von jedem Festland. Aber ein schwimmendes Rettungsboot ist allemal besser als ein sinkendes Schiff. Ich bete für meine Männer. Wenn wir es nicht schaffen sollten, bestellen Sie meiner Ehefrau und meinen Jungen, dass ich sie über alles liebe. Ich glaube, das gilt auch für meine Männer und ihre Familien.‹
Unterschrieben ist es mit ›Kapitän John Darling von der Proxy Freight Linc‹, und – stellt euch vor, die Nachricht datiert vom Januar des vergangenen Jahres. Dieses alte Mädchen treibt seit zwanzig Monaten steuerlos durch die Welt.«
»Meinen Sie, die Mannschaft wurde gerettet?«, fragte Lugones.
Espinoza schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich frage mich nur, warum das Schiff nicht gesunken ist. Wenn ein Kapitän sein Schiff aufgibt, dann sollte er sich wegen der Gründe doch verdammt sicher sein. Ich will mir mal die Maschinenräume ansehen.«
Sie brauchten mehrere Minuten und liefen des Öfteren in die Irre, bevor sie die Treppe fanden, die in den Bauch des Schiffes führte. Sobald Jimenez die Tür öffnete, ergossen
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