Texas
zurückgeschickt werden müßten. Aber natürlich machten sie, kaum daß sie den Rio Grande überquert hatten, kehrt und marschierten wieder nach Norden. Das war allen klar.
Nichts schreckte sie ab, weder die raffinierte Detektivarbeit des Grenzpatrouillenofficers Talbot noch die offiziellen Kontrollpunkte an den Highways noch die Überwachungsflugzeuge über ihnen noch die Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie über einen Rangierbahnhof liefen und auf einen fahrenden Güterzug der Southern Pacific aufsprangen, der nach Osten unterwegs war. Sie kamen allein, zu zweit, in gut organisierten kleinen Gruppen und gelegentlich zu Plünderten. Sie bildeten ein Glied der endlosen Kette von mexikanischen Bauern, die ihr Heimatland verließen und Arbeit in einem wohlhabenden Land suchten. Wie viele wurden erwischt? Möglicherweise nicht einmal zehn oder fünfzehn Prozent. Aber wenn pflichtbewußte Männer wie Ben Talbot seit der Gründung der Grenzpatrouille im Jahr 1924 nicht unermüdlich im Einsatz gestanden hätten, wäre der Zustrom nach Norden dreimal so groß gewesen.
Anfang 1960 sandte Talbot seinen Vorgesetzten einen Bericht, in dem er feststellte, daß sich seiner Ansicht nach im vorhergehenden Jahrzehnt über zwei Millionen illegale mexikanische Einwanderer in die Vereinigten Staaten eingeschlichen hatten:
»Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Mißstände, die sie nach Norden getrieben haben - Armut, die kalte Gleichgültigkeit ihrer Regierung, die ungerechte Verteilung des Reichtums in einem reichen Land und der schreckliche Druck des Bevölkerungswachstums, das von Kirche und Regierung gefördert wird -, unter Kontrolle gebracht werden. Wir müssen also von der Annahme ausgehen, daß der derzeitige Zustrom weiterhin anhält, und uns allmählich überlegen, welche Auswirkungen es hat, wenn der südliche Teil von Texas de facto eine spanische Enklave wird.
Ein Beispiel für den Ernst der Lage ist der Fall eines gewissen Eloy Muzquiz, eines Bewohners der achthundertfünfzig Meilen südlich gelegenen Stadt Zacatecas. Er ist einunddreißig Jahre alt und verhält sich offenbar sowohl in Mexiko als auch in den Vereinigten Staaten wie ein ordentlicher Bürger. Er verläßt sein Haus in Zacatecas jeden Winter um den 10. Februar herum, fährt mit dem Bus nach Ciudad Juarez, überquert illegal den Rio Grande und entwischt mir oder wird von mir aufgegriffen. Wenn ich ihn festnehme, schicke ich ihn nach Mexiko zurück; am gleichen Nachmittag überquert er den Fluß noch einmal und entkommt mir. Er springt auf einen Güterzug auf, fährt nach Osten - wohin, weiß ich nicht -, arbeitet bis zum 15. Dezember in Texas und taucht auf dem Weg in den Süden wieder in El Paso auf. Weil er jetzt die Staaten verläßt, lassen wir ihn ungeschoren. Er kehrt mit dem Bus in sein Haus in Zacatecas zurück, spielt mit seinen Söhnen, schwängert seine Frau, trifft am 12. Februar pünktlich in Ciudad Juarez ein und versucht, unsere Linien zu durchbrechen. Er schafft es immer, und kurz vor Weihnachten sehen wir ihn und sein ewig gleiches Lächeln wieder, wenn er eilig vorbeimarschiert und uns >Fröhliche Weihnachten! < zuruft. Eloy Muzquiz bleibt unser immerwährendes Problem.«
Im Jahre 1961 traf Muzquiz pünktlich in Ciudad Juarez ein, suchte wie immer einen mexikanischen Laden auf und füllte seinen kleinen Segeltuchrucksack mit den Lebensmitteln, die er für die Reise nach Nordosten brauchte: zwei kleine Dosen Sardinen, sechs Limonen, vier Dosen Aprikosen mit viel Saft, zwei Dosen mit Bohnen und einen großen Beutel, dessen Inhalt für eine Reise in die Vereinigten Staaten sehr wichtig war: Pinole, eine Mischung aus getrocknetem Mais, gerösteten Erdnüssen und braunem Zucker, alles ganz fein gemahlen. Wenn man es mit Wasser vermischte, ergab es ein lebenserhaltendes Getränk; man konnte es aber auch trocken zu sich nehmen.
Er verstaute die Lebensmittel in seinem Segeltuchsack, verließ das Geschäft gegen dreizehn Uhr, ging zum trockenen Flußbett hinunter, wartete, bis die Einwanderungsbeamten mit drei Mexikanern beschäftigt waren, die sie erwischt hatten, und schlüpfte in die Vereinigten Staaten. Er schlug sich nach Osten durch und erreichte den vertrauten Güterbahnhof der Southern Pacific, wo er sich hinter abgestellten Waggons versteckte und beobachtete, wie die Lokomotiven lange Reihen von beladenen Güterwaggons verschoben, die bald quer durch Texas nach San Antonio und von dort weiter nach Houston fahren
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