Thanatos
sich, ob es wohl noch genauso sein würde, wenn das Baby erst einmal auf der Welt war.
»Na ja, ich meine, ich wusste schon, dass ich anders war. Ich war stärker als alle anderen. Wurde immer sehr schnell wieder gesund. Sah Dinge, die andere Leute nicht sehen konnten, wie Höllentore und Dämonen. Ich war der einzige Junge in der Familie. Ich hatte drei Schwestern, die meine Mutter ziemlich auf Trab hielten, aber mein Vater nahm mich oft auf die Jagd mit oder auf Reisen, um mit anderen Clans Handel zu treiben. Wir standen uns ziemlich nahe.«
Ihr Daumen streichelte seinen, und diese intime Zärtlichkeit drang bis in seine Seele vor. »Möchtest du deinen wirklichen Vater gern kennenlernen?«
»Ich würd’s überleben, wenn es nicht passiert.«
»Danach hab ich nicht gefragt.«
Das wusste er, aber er wusste nicht, was er antworten sollte. Er suchte nun schon seit Tausenden von Jahren nach jedem noch so kleinen Hinweis auf seinen Vater, aber jetzt, wo Thanatos’ eigenes Baby unterwegs war, sah er die Rolle eines Vaters im Leben seines Kindes mit völlig neuen Augen.
»Ich weiß nicht, ob das gut wäre.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich dann wissen wollen würde, warum er zuließ, dass Lilith mit uns tat, was sie tat«, fuhr er sie an. Er war selbst von der Stärke der Wut überrascht, die in ihm aufwallte. »Er ließ Limos in der Hölle aufwachsen. Er ließ zu, dass man uns trennte, ohne einzugreifen, und als unsere Welt schließlich zusammenbrach, war er auch nicht da, um zu helfen.«
»Vielleicht konnte er das nicht«, sagte sie sanft. »Vielleicht tat er nur, was er für das Beste hielt.«
Thans Herz verwandelte sich zu Eis. »Vielleicht versuchst du nur zu rechtfertigen, was du mit deinem eigenen Sohn vorhast.«
Sie drückte seine Hand. »Thanatos, nein –«
Er riss sich von ihr los und erhob sich. »Ich bin nicht mein Vater. Ich werde mein Kind nicht im Stich lassen. Wie der Vater, so der Sohn. Ich mag ja auf deine Verführungskünste reingefallen sein wie er auf Liliths, aber ich werde nicht zulassen, dass du unseren Sohn weggibst. Und ganz bestimmt nicht, damit er in der Aegis aufgezogen wird.«
»Die Aegis hat mir das Leben gerettet«, sagte sie. »Sie
schenkten
mir ein Leben, als mich sonst niemand wollte.«
Er schnaubte. »Sie haben dich ausgenutzt, Regan.«
»Sie brauchen mich.«
»Sie brauchen dich aufgrund dessen, was du für sie tun kannst. Das ist der einzige Grund, aus dem sie dich haben wollen. Wann wirst du endlich die Augen öffnen und das einsehen?«
Regans Lippen teilten sich, aber es kam kein Laut heraus. Doch sie hätte ebenso gut schreien können, so deutlich war der Schmerz in ihre Gesichtszüge eingeprägt. Tief in ihrem Inneren hatte sie genau dieselben Gedanken über die Aegis und ihre eigene Rolle bei ihr gehegt.
»Warum sollte ich die Augen öffnen?« Die goldenen Punkte in ihren haselnussbraunen Augen glitzerten, kleine Funken, die die Wut in ihren Worten unterstrichen. »Würdest du dich vielleicht besser fühlen, wenn ich nichts und niemanden mehr hätte?«
Er wandte sich von ihr ab. Er würde sich wohl auch nicht besser fühlen, wenn sie alles verlieren sollte, was sie kannte – aber vielleicht wäre es dennoch gut. Sie war viel zu abhängig von einer Organisation, die sie gar nicht zu schätzen wusste. Außerdem stimmte es nicht, dass sie niemanden hatte. Sie hatte einen Sohn, und wenn sie nur endlich diese verrückte Idee aufgeben würde, dass das Baby von jemand anderem aufgezogen werden müsse, würde er dafür sorgen, dass sie ein Teil seines Lebens wurde.
Seine Kopfhaut kribbelte. Gleich darauf öffnete sich nur zehn Meter von ihnen entfernt ein Höllentor, aus dem Ares und Limos herausplatzten, beide noch in ihrer Rüstung, die Waffen gezogen und blutig.
»Es gibt Ärger«, sagte Limos. »Vampirärger. Deine Wildlinge haben Notre Dame eingenommen. Sie schlachten dort alles ab, was ihnen über den Weg läuft.«
»Ziemlich unverfroren.« Ares’ tiefe Stimme war so abgehackt wie seine Bewegungen. »Entweder ist es eine Botschaft oder eine Falle.«
Thanatos drehte sich der Magen um. »So oder so richtet es sich gegen mich.« Er nickte Limos zu. »Bring Regan zu mir nach Hause. Ares, lass uns mal sehen, was sie wollen. Und dann bringen wir sie um.«
Notre Dame.
Thanatos hatte den Bau der Kathedrale größtenteils miterlebt. Jetzt wurde er Zeuge grauenhafter Zerstörung, als ein Dutzend Tagwandler sie mit dämonischer Energie und menschlichem Leid
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