THARKARÚN – Krieger der Nacht
Amorannon nicht mehr sehen konnte, ehe die Ereignisse sich überstürzten? Zwar wusste sie um seine unübertreffliche Kampfkunst auf dem Schlachtfeld und um sein großes Verantwortungsbewusstsein. Niemals würde er ein unnötiges Risiko eingehen. Aber Krieg war Krieg und es konnte jeden treffen, selbst den Besten, selbst einen so erfahrenen und umsichtigen Soldaten wie den eisernen General. Womöglich machte er sich auch Sorgen um sie und um das Kind, das ihm geboren werden sollte und von dessen Geburt er nichts wissen konnte.
Sie war Tag und Nacht geritten, hatte weder sich noch das Pferd geschont und hatte sicher einiges an Zeit aufgeholt. Aber es war zu spät, sie hatte das Unvermeidliche trotzdem nicht aufhalten können.
Das, was sie jetzt mit eigenen Augen sah, war ein Albtraum, schlimmer als jede Angst. Amorannon war dort vor ihr und doch konnte sie nicht mit ihm sprechen oder ihn beiseitenehmen, und er konnte sie aus dieser Entfernung nicht erkennen. Noch schlimmer war, dass er nicht bei den anderen im Schlachtgetümmel war, sondern sich für ein Duell mit einem als Nekromanten gekleideten Wesen wappnete: Tharkarún, so hatten die Soldaten ihn genannt. Tharkarún! So hatte Alfargus in seinem Brief den Anführer der Feinde genannt. Und jetzt schritt Amorannon auf ihn zu, ganz allein, zu einem Kampf Mann gegen Mann. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass die merkwürdige, in einen violetten Umhang gehüllte Gestalt von einer Aura dunkler Macht umgeben war.
Mutlosigkeit hatte Adilean wie mit spitzen Klauen gepackt. Natürlich war Amorannon der heldenhafte Kämpfer, den alle fürchteten und verehrten, doch er war auch besonnen und fürsorglich und hatte ihr versprochen, am Leben zu bleiben, für sie und ihre Familie. Niemals würde er sich ohne Not in eine so selbstmörderische Situation bringen. So fahrlässig war er nicht. Wenn der Nekromant tatsächlich der war, der die Gremlins beherrschte, konnte Amorannon das Duell nicht gewinnen.Tharkarún würde ihn töten, wie er schon ihren Bruder Alfargus getötet hatte. Noch dazu wirkte der eiserne General erschöpft und angeschlagen. War er verletzt? Wahrscheinlich ja, eine andere Erklärung gab es nicht.
Und trotzdem stand er da, Ligiya fest umklammert, zu allem entschlossen. Es gab nichts, womit ihn Adilean aufhalten und am Sterben würde hindern können.
Sie war zu spät gekommen und jetzt konnte sie nichts anderes tun, als hilflos und bestürzt am Rand des Schlachtfeldes zu stehen, das sie niemals hatte erblicken wollen, und dem unvermeidlichen Gang der Dinge beizuwohnen.
»Wir haben noch eine Rechnung offen, Tharkarún. Oder besser gesagt: mehr als eine.« Das waren Amorannons Worte gewesen.
Adilean war sich nicht sicher, ob sie überhaupt verstand, was er damit hatte sagen wollen. Tharkarún hatte nicht geantwortet. Was hätte er auch erwidern sollen? Dass der Elbengeneral nicht den Hauch einer Chance gegen ihn haben und hier auf dem Schlachtfeld sterben würde, trotz des magischen Schwertes und all seiner Willenskraft? Es gab keinen Grund, das noch einmal zu betonen, sie beide wussten es, alle wussten es.
Der eiserne General reckte Ligiya in den tiefschwarzen Nachthimmel, die Klinge blitzte auf, dann warf er sich Tharkarún entgegen. Dabei schrie er nur ein Wort mit alle seiner Kraft: Er rief ihren Namen. Adilean! Was bei allen Göttern hatte das zu bedeuten? Wollte er etwa für sie sterben? Warum nur? Adilean wünschte sich nur eines: Sie wollte so schnell wie möglich vom Pferd steigen, Cailín packen und dem Geliebten zu Hilfe eilen. Warum hatte sie sonst das Schwert aus dem Saal der Erinnerung mitgenommen? Sie musste ihn aufhalten, das konnte sie nicht zulassen. Aber dazu war es zu spät: Sie saß reglos im Sattel, wie erstarrt, während Ligiyas blitzende Klinge gegen Tharkarúns dunklen Stab prallte. Auch alle anderen verharrten regungslos.
Wo waren eigentlich die Gremlins? Wo mochten sie gerade ihr grausames Spiel treiben? Es schien, als hätten sie das Feld rund um ihren Herrn geräumt, aus Ehrfurcht vor dem widerwärtigen Schauspiel.
Adilean sah, wie sich Amorannons Gesicht schmerzhaft verzog. Doch sie tat nichts. Was sollte sie auch tun?
Amorannon kämpfte weiter, wie ein Berserker, blind vor Wut, wie ein Tier, das seinen Jäger wieder und wieder angriff, weil es einfach nicht aufgeben und sterben konnte. Er hieb wie von Sinnen auf Tharkarún ein, wollte einfach nicht wahrhaben, dass der übermächtige Gegner alle Angriffe mühelos
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