THARKARÚN – Krieger der Nacht
anderen ihn auch sahen? Vielleicht war dieser plötzlich aufgetauchte Krieger sein Schicksal, das verborgen hinter dem Visier des Helmes seinem Tod beiwohnen wollte? Amorannon Asduvarlun leistete einen stummen Eid: Er würde sein Schicksal nicht enttäuschen, sondern
ihm und allen anderen einen Kampf liefern, der seinem Ruf würdig war.
Jetzt blieb er stehen und senkte den hochgereckten Schwertarm. Der Schmerz pulsierte in seinem Körper, doch sein Geist war hellwach. Tharkarún stand vor ihm und wie schon einmal konnte er seine glühenden Augen unter dem breitkrempigen Hut sehen. Der General wusste, dass es ein ungleicher Kampf werden würde, denn der Nekromant würde rücksichtslos seine schwarze Magie gegen ihn einsetzen. Er selbst dagegen war erschöpft, noch ehe der Kampf begonnen hatte, weil er viel Blut verloren hatte, und hielt sich nur dank der magischen Wundnähte auf den Beinen, die jeden Moment reißen konnten. Was er vorhatte, war blanker Wahnsinn, doch es war das Richtige, das Einzige, was er tun konnte.
Noch einmal wandte er sich um. Lay Shannon und Lisannon Seridien standen nebeneinander auf der Mauer und beobachteten die Szene.
»Wir haben noch eine Rechnung offen, Tharkarún«, sagte er und umfasste den Griff seines Schwertes. »Oder besser gesagt: mehr als eine.«
Er hatte mit einer verächtlichen Bemerkung Tharkarúns gerechnet, mit irgendeinem überheblichen Satz, irgendeiner abfälligen Bemerkung über den zum Scheitern verurteilten Versuch, jemand wie ihn besiegen zu wollen. Aber vielleicht war das zu vorhersehbar. Schließlich hatte Tharkarún sich als etwas viel Größeres offenbart, als sie sich zu Beginn seines Angriffes gedacht hatten.
Und tatsächlich schwieg Tharkarún, als habe er nichts zu sagen.
FÜNFUNDSECHZIG
D IE QUÄLENDEN SORGEN, die Adileans Leben in den letzten Monaten bestimmt hatten, waren nichts gegen die panische Angst, zu spät gekommen zu sein. Sie hatte der eindringlichen Bitte von Virgo und Quanya nachgegeben, noch in ihrer Obhut zu bleiben und erst nach vollständiger Genesung aufzubrechen. Es war ihr sogar ganz leichtgefallen, denn schließlich wusste sie, sie würde an der Großen Mauer wieder mit Amorannon vereint sein. In dem abgelegenen Bauernhaus war es ruhig und friedlich. Hier waren die Zwillinge, denen sie die alten Lieder vorsingen konnte, die sie in ihrer Kindheit von ihrer Amme gelernt hatte. Hier konnte sie ihnen von ihrem edelmütigen Vater erzählen, der sein Leben aufs Spiel setzte, um sie alle zu retten. Sie wusste, dass es ihr das Herz zerreißen würde, sie zu verlassen. Aber es musste sein.
Sie konnte die Tränen kaum zurückhalten, als sie die Zwillinge in Quanyas schützende Arme legen musste. Die Bauersfrau hatte geschworen, sich um sie zu kümmern, als ob es ihre eigenen Kinder wären, bis jemand kommen und sie abholen würde. Nur der Gedanke, dass Amorannon an ihrer Seite sein würde, wenn sie die beiden wiedersah, und sie dann eine Familie sein konnten, gab ihr die Kraft, diesen Schritt zu gehen.
Während ihres Aufenthalts bei Virgo und Quanya hatte sie sich der Illusion hingegeben, alles würde wieder gut, wenn sie nur weit genug von Astu Thilia entfernt wäre, sicher versteckt, an einem
Ort, wo sie niemand finden konnte. Ob bei Amorannon an der Front oder bei den Bauersleuten spielte keine Rolle: Alles würde wieder gut. Doch schließlich hatte das unbändige Verlangen, ihren Verlobten in die Arme zu schließen, mit ihm zu sprechen und ihm von der Geburt der Zwillinge zu erzählen, die Oberhand gewonnen, und Adilean Eletilla hatte die Rüstung angelegt, die sie sich eigens dafür hatte anpassen lassen, war auf den Sattel ihres Pferdes gestiegen, hatte das Visier des Helmes heruntergeklappt, denn je näher sie der Front kam, desto größer wurde die Gefahr, erkannt zu werden, und hatte sich wieder auf den Weg gemacht.
Diese Straße lag so einsam da wie bei ihrer Flucht und die wenigen, die ihr entgegenkamen, hatten ihre jämmerliche Habe dabei, die sie in Sicherheit bringen wollten. Sie hatten ihr erzählt, dass die alles entscheidende Schlacht an der Großen Mauer der Ebene, wo sich das vereinte Heer der acht Völker und die von dem geheimnisvollen Nekromanten namens Tharkarún befehligten Gremlins versammelt hatten, unmittelbar bevorstand.Vielleicht fehlten nur noch wenige Tage oder sogar nur noch Stunden. Als sie das gehört hatte, waren ihr zum ersten Mal Zweifel gekommen. War es vielleicht doch schon zu spät?
Was, wenn sie
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