The Acid House (German Edition)
waren, wäre er ihr ganz besonderer kleiner Mann. Wenn sie seine Entwicklung lenkte, würde er zu einem nichtsexistischen und sensiblen, aber starken und zu echtem Gefühlsausdruck fähigen Menschen heranwachsen, nicht zu einem faden Clown, der sich aus lahmen ideologischen Gründen an ein bestimmtes Verhalten klammert. Er würde der perfekte neue Mann sein.
***
Der junge Mann, den sie Coco Bryce nannten, hatte sprechen gelernt. Zuerst glaubte man, er plappere die Worte nur nach wie ein Papagei, aber dann begann er sich selbst, andere Menschen und Objekte zu identifizieren. Er schien besonders auf seine Mutter und seine Freundin zu reagieren, die regelmäßig zu Besuch kamen. Sein Vater besuchte ihn nie.
Seine Freundin Kirsty hatte sich die Haare an den Seiten kurz schneiden lassen. Das hatte sie schon lange tun wollen, aber Coco hatte es ihr immer ausgeredet. Jetzt war er dazu nicht imstande. Kirsty stand kaugummikauend vor seinem Bett und sah auf ihn hinunter. – Alles klar, Coco? fragte sie.
– Coco, er zeigte auf sich. – Cooo-lin.
– Aye, Coco Bryce, spuckte sie zwischen dem Kauen aus.
Jetzt isser endgültig weich im Kopf. Is das Acid, die Supermarios. Ich hab’s ihm gesagt, aber das is echt Coco, lebt bloß fürs Wochenende; Raves, Fußball. Die Woche is bloß was, was man rumkriegen muss, und er hat schon immer zu viel Scheiß-Trips geschmissen, um sie rumzukriegen. Na, ich wart jedenfalls nich drauf, bis so n Hirntoter sich wieder berappelt.
– Skanko un Leanne wolln sich verloben, sagte sie, – hab ich jedenfalls gehört.
Bei dieser Aussage keimte, wiewohl darauf keine Reaktion von Coco kam, bei Kirsty ein interessanter Gedanke auf. Wenn er sich an nichts erinnern konnte, erinnerte er sich vielleicht auch nicht an den Status ihrer Beziehung. Er wusste vielleicht nicht mehr, was für ein seltenes Arschloch er sein konnte, wenn das Gespräch auf ihre gemeinsame Zukunft kam.
Klo.
– Ich muss A-A! ICH MUSS A-A! brüllte der junge Mann.
Eine Schwester erschien mit der Bettpfanne.
Nachdem er geschissen hatte, setzte sich Kirsty zu ihrem Freund auf die Bettkante und beugte sich über ihn. – Skanko un Leanne. Verlobt, wiederholte sie.
Er drängte seinen Mund gegen ihre Brüste und begann durch T-Shirt und BH an ihnen zu saugen und zu nagen. – Mmmmm … mmmmm …
– Eh, Scheiße, lass mich in Frieden! rief sie und schubste ihn weg. – Nich hier! Nich jetzt!
Die Schärfe ihrer Stimme brachte ihn zum Heulen. – WAAAHH !!
Kirsty schüttelte geringschätzig den Kopf, spuckte ihren Kaugummi aus und ging. Wenn er allerdings, wie die Ärzte andeuteten, ein weißes Blatt Papier war, hatte Kirsty erkannt, dass sie ihn ausmalen konnte, wie es ihr passte. Sie würde ihn von seinen Freunden fernhalten, wenn er rauskam. Er würde ein anderer Coco sein. Sie würde ihn ändern.
***
Jennys gesamtes angelesenes Wissen über Säuglingspflege hatte sie nicht auf die Art von Beziehung vorbereiten können, die sich zwischen ihr und ihrem Baby entwickelte.
– Hör mal, Jenny, ich will, dasste mich am Samstag zum Fußball bringst. Hibs-Hearts in der Easter Road. Gebongt?
– Nicht, bis du aufhörst, wie ein Hilfsarbeiter zu reden und anständig sprichst, sagte sie. Das von ihm angesprochene Thema und der Tonfall seiner Stimme beunruhigten sie.
– Ja, Tschuldigung. Ich hätte nur mal Lust, so ein Spiel zu sehen.
– Ehm, ich kenne mich mit Fußball nicht gut aus, Tom. Ich sehe es gerne, wenn du dich auslebst und Interessen entwickelst, aber Fußball … das ist eine dieser fürchterlichen Machosachen, und ich weiß nicht, ob ich möchte, dass du dich damit beschäftigst …
– Aye, wa, damit ich später mal so wie der Wichser werd! Äh, mein Vater, mein ich. Komm, Mum, werd wach! Der Typ is doch ne Flasche!
– Tom! Das reicht! sagte Jenny, aber sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Der Kleine hatte nicht ganz unrecht.
Jenny war einverstanden, das Kind auf die Osttribüne in der Easter Road zu bringen. Er zwang sie, sich neben eine der mit großem Polizeiaufgebot gesicherten Absperrungen zu stellen, die die rivalisierenden Fanblöcke trennten. Ihr fiel auf, dass Tom viel häufiger die Jugendlichen in der Menge als das Fußballspiel zu beobachten schien. Sie wurden von aufgebrachten Polizisten weggedrängt, die Jenny wegen ihres unverantwortlichen Verhaltens Vorhaltungen machten. Sie musste sich die bittere Wahrheit eingestehen; es mochte zwar ein einmaliges Naturwunder und ein Genie sein
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