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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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Naylor, ein weiterer Tag auf dem Schwarzmarkt. In einigen Punkten würde der Wächter nachgeben, aber das hier gehörte nicht dazu. Also sagte ich mir, dass ich die morgige grüne Pille zu Duckett bringen würde.
    Ich schluckte die Tabletten mit etwas Wasser runter. Der Wächter nahm mein Kinn in seine lederbekleidete Hand.
    »Es gibt Gründe dafür.«
    Ich entzog mich ihm. Einen Moment lang sah er mich noch an, dann öffnete er die Tür. Ich ging hinter ihm die Wendeltreppe hinunter zum Kreuzgang. Fratzenhafte Statuen bewachten den Innenhof. Die Temperatur war gefallen, sodass sie mit einer feinen Reifschicht überzogen waren. Ich verschränkte die Arme gegen die Kälte. Der Wächter führte mich aus der Residenz, allerdings nicht auf die Straße. Stattdessen umrundete er Magdalen, ging durch ein schmiedeeisernes Tor und überquerte auf einem Steg ein grünliches Flüsschen. Das Mondlicht spiegelte sich hell auf dem Wasser. Inzwischen hagelte es nicht mehr, doch der Boden war mit Eis bedeckt.
    Während wir einen Trampelpfad entlangwanderten, krempelte der Wächter einen seiner Ärmel hoch. Die Wunde von seiner ersten Verletzung nässte noch. Zwar bildete sich langsam eine Narbe, aber ganz verheilt war es noch nicht.
    »Sind sie giftig?«, fragte ich. »Die Summer.«
    »Die Emim tragen einen Virus in sich, den man Semitrieb nennt. Wird er nicht behandelt, führt er zunächst zum Wahnsinn, dann zum Tod. Sie fressen jede Art von Fleisch, frisches genauso wie verfaultes.«
    Noch während ich hinsah, schloss sich die Wunde ein Stück weit. »Wie machst du das?« Meine Neugier war zu groß, um mich zurückzuhalten. »Sie heilt ja.«
    »Ich benutze deine Aura.«
    Sofort verkrampfte ich mich. »Was?«
    »Inzwischen solltest du wissen, dass Rephaim sich von Auren ernähren. Und die Nahrungsaufnahme ist einfacher für mich, wenn der Spender sich dessen nicht bewusst ist.«
    »Du hast dich gerade von mir genährt?«
    »Ja.« Prüfend sah er mich an. »Das scheint dich wütend zu machen.«
    »Du hast kein Recht, dich so zu bedienen.« Angewidert wich ich vor ihm zurück. »Du hast mir schon meine Freiheit genommen. Du hast kein Recht, mir meine Aura zu stehlen.«
    »Ich habe nicht so viel genommen, dass deine Gabe in Mitleidenschaft gezogen würde. Ich nähre mich stets in kleinen Dosen von Menschen und gebe ihnen Zeit, sich zu regenerieren. Andere sind da weniger höflich. Und denke immer daran … «, er rollte den Ärmel wieder herunter, »du willst ganz sicher nicht, dass ich in deinem Beisein an Semitrieb erkranke.«
    Aufmerksam beobachtete ich sein Gesicht. Er akzeptierte wortlos die Musterung.
    »Deine Augen.« Gleichzeitig fasziniert und abgestoßen sah ich sie mir an. »Deswegen ändern sie sich.«
    Er stritt es nicht ab. Jetzt waren seine Augen nicht mehr gelb, sondern glühten in einem dunklen, sanften Rotton – der Farbe meiner Aura. »Ich wollte dich nicht verärgern«, sagte er, »aber so muss es nun einmal sein.«
    »Warum? Weil du das sagst?«
    Wortlos setzte er sich wieder in Bewegung. Ich folgte ihm. Der Gedanke, dass er sich von mir nähren konnte, machte mich ganz krank.
    Einige Minuten später blieb der Wächter stehen. Dünner, bläulicher Nebel hüllte uns ein. Ich schlug meinen Kragen hoch. »Du spürst sie«, stellte der Wächter fest. »Die Kälte. Hast du dich schon einmal gefragt, warum hier im Frühling Minusgrade herrschen?«
    »Wir sind in England, hier ist es nun einmal kalt.«
    »Aber nicht so kalt. Pass auf.« Er nahm meine Hand und zog mir den Handschuh aus. Sofort brannten meine Finger in der eisigen Luft. »Ganz in der Nähe gibt es einen Kältepunkt.«
    Ich holte mir den Handschuh zurück. »Kältepunkt?«
    »Jawohl. Sie entstehen an Orten, wo ein Geist lange Zeit verharrt und dabei eine Öffnung zwischen Æther und stofflicher Welt bildet. Ist dir denn nie aufgefallen, wie kalt es wird, wenn sich Geister in der Nähe befinden?«
    »Schätze schon.« Geister ließen mich wirklich erschaudern, aber ich hatte nie weiter darüber nachgedacht.
    »Geister sind eigentlich nicht dazu bestimmt, zwischen den Welten zu verweilen. Sie entziehen ihnen Wärmeenergie, um sich selbst zu erhalten. Rund um Sheol I gibt es sehr viele Kältepunkte – die Aktivität im Æther ist hier wesentlich höher als in der Zitadelle. Deswegen werden auch die Emim von uns angezogen und nicht von der amaurotischen Bevölkerung Londons.« Der Wächter deutete auf die gefrorene Erde vor unseren Füßen. »Wie könnte man

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