Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
Vom Netzwerk:
mir die Arme an dem Glas schnitt. Dann war ich wieder im Regen und kletterte über Abflussrohre und Fensterbretter in die Höhe, bis ich erneut das Dach erreichte.
    Mein Herz blieb stehen, als ich sie sah. Im gesamten Außenbereich des Gebäudes wimmelte es von Männern mit roten Hemden und schwarzen Jacken. Die Strahlen mehrerer Taschenlampen schwenkten in meine Richtung und blendeten mich. Plötzlich fiel mir das Atmen schwer. Solche Uniformen hatte ich in London noch nie gesehen. Kamen sie aus Scion?
    »Stehen bleiben.«
    Der Mann, der mir am nächsten war, kam auf mich zu. In seiner Hand glänzte eine Waffe. Sofort wich ich zurück. Deutlich konnte ich seine energiegeladene Aura spüren. Der Anführer dieser Soldaten war ein extrem mächtiges Medium. Im Licht der Taschenlampen sah ich sein hageres Gesicht, die scharf blickenden Augen und den schmallippigen, breiten Mund.
    »Nicht weglaufen, Paige«, rief er über das Dach. »Warum kommst du nicht erst mal aus dem Regen?«
    Hastig verschaffte ich mir einen Überblick über die Umgebung. Das angrenzende Haus war ein baufälliges Bürogebäude. Kein leichter Sprung, bestimmt zwanzig Schritt und dahinter befand sich eine belebte Straße. So eine große Distanz hatte ich noch nie zu überspringen versucht – aber solange ich nicht meinen Körper verlassen und dieses Medium angreifen wollte, musste ich es wohl darauf ankommen lassen.
    »Vergesst es«, antwortete ich und rannte los.
    Die Soldaten reagierten mit warnenden Schreien. Ich hechtete auf einen tiefergelegenen Bereich des Daches. Das Medium rannte mir nach. Ich hörte, wie seine Füße auf das Dach trommelten, uns konnten nur Sekunden trennen. Er war offenbar für solche Verfolgungsjagden trainiert. Ich durfte mir keine Verzögerung erlauben, nicht mal den kleinsten Moment. Da ich so leicht und schmal war, konnte ich mich zwischen Gitterstäbe schieben und unter Geländern hindurchtauchen. Aber mein Verfolger ebenso. Als ich über die Schulter einen Schuss aus der Pistole abgab, wich er ihm aus, ohne auch nur anzuhalten. Der Wind trug sein Lachen fort, und so konnte ich nicht sagen, wie weit er entfernt war.
    Ich schob die Waffe zurück in meine Jackentasche – es war zwecklos zu schießen, ich würde ja doch nicht treffen. Stattdessen dehnte ich kurz meine Finger, um mich auf der anderen Seite besser an der Regenrinne festklammern zu können. Meine Muskeln waren aufgewärmt, meine Lunge bis zum Bersten gefüllt. Ein leichtes Brennen im Knöchel deutete auf eine Verletzung hin, aber ich musste weiter. Kämpfen oder fliehen. Weglaufen oder sterben.
    Mühelos und fließend wie Wasser überwand das Medium die Kante zwischen den Dachabschnitten. Das Adrenalin tobte durch meine Adern. Meine Beine bewegten sich wie von allein. Der Regen brannte in meinen Augen. Ich sprang über Schläuche und Belüftungsrohre und legte immer weiter an Geschwindigkeit zu. Währenddessen richtete ich meinen sechsten Sinn ganz auf das Medium. Sein Bewusstsein war stark, es bewegte sich synchron zu seinem Körper. Es gelang mir einfach nicht, es festzuhalten oder ihm auch nur ein einziges Bild zu entreißen. Nichts, womit ich ihn hätte ablenken können.
    Als ich immer schneller wurde, betäubte der Adrenalinrausch den Schmerz in meinem Knöchel. Vor mir tat sich ein fünfzehn Stockwerke tiefer Abgrund auf. Gegenüber war die Regenrinne, gefolgt von einer Feuerleiter. Wenn ich die erreichte und bis zum Boden gelangte, konnte ich in den pulsierenden Straßen von Sektor 5 verschwinden. Es gab einen Ausweg. Ja, das konnte ich schaffen. In meinem Kopf hörte ich Nicks drängende Stimme: Knie anziehen, Augen auf den Landepunkt richten. Jetzt oder nie. Ich stieß mich mit den Zehen ab und katapultierte mich über die Kante.
    Mein Körper prallte gegen die Ziegelmauer, durch die Wucht platzte meine Lippe auf. Aber ich blieb bei Bewusstsein. Meine Finger krallten sich in die Regenrinne, meine Füße strampelten an der Mauer. Mit letzter Kraft zog ich mich hoch. Die Kante der Regenrinne grub sich tief in meine Hände. Eine einzelne Münze fiel aus meiner Jackentasche und verschwand irgendwo unter mir im Dunkeln.
    Doch mein Triumph hielt nicht lange vor. Während ich mich mit brennenden, aufgeschürften Handflächen in die Höhe zog, schoss ein lähmender Schmerz durch meine Wirbelsäule. Schon allein durch den Schock hätte ich fast losgelassen, aber eine Hand umklammerte weiterhin die Dachkante. Ich renkte mir beinahe den Hals aus, als ich

Weitere Kostenlose Bücher