The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
noch fehlenden Mitglied unseres Septetts. Aufgewachsen in der Scion Zitadelle Belgrad, war sie nach London umgesiedelt, um Ingenieurin zu werden. Nick hatte sie zu uns gebracht, nachdem er bei einer Cocktailparty für neue Rekruten ihre Aura erspäht hatte. Ihr machte es einen Heidenspaß, dass keiner von uns ihren Namen richtig aussprechen konnte. Oder ihren Nachnamen. Sie war unverwüstlich, mit krausem, rötlichem Haar, das sie in einem tief sitzenden Dutt trug, und Armen, die von Narben und Brandmalen überzogen waren. Ihre einzige Schwäche waren Westen.
»Danica, meine Teure.« Jaxon winkte sie zu sich. »Komm und sieh dir das hier einmal an, ja?«
»Was sehe ich denn?«, fragte sie.
»Meine Waffe.«
Dani und ich tauschten einen vielsagenden Blick. Sie war zwar erst seit einer Woche bei uns, aber sie wusste schon sehr gut, wie Jaxon tickte.
»Sieht so aus, als würdet ihr eine Séance abhalten«, stellte sie fest.
»Heute nicht.« Er wedelte auffordernd mit der Hand. »Fang an.«
Ich musste mir auf die Zunge beißen, um ihm nicht zu sagen, wo er sich seinen Befehl hinschieben könne. Den Neuen schmierte er immer Honig ums Maul. Dani verfügte über eine strahlende, hyperaktive Aura, die er noch nicht hatte identifizieren können – aber wie üblich war er davon überzeugt, dass sie wertvoll für ihn sein würde.
Ich setzte mich. Nick desinzifierte meine Armbeuge und gab mir die Spritze.
»Los jetzt«, sagte Jax. »Lies den Unlesbaren.«
Ich ließ meinem Blut einen Moment Zeit, um den Drogencocktail aufzunehmen, dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf den Æther. Zeke umschlang sich mit beiden Armen. Überfallen konnte ich ihn nicht – nur seine Traumlandschaft streicheln, die feinen Nuancen an der Oberfläche erspüren – , doch sein Bewusstsein war so zartbesaitet, dass selbst der kleinste Stupser ihn verletzen konnte. Ich musste sehr vorsichtig sein.
Mein Geist schwebte ein Stück weiter, bis ich alle fünf Traumlandschaften im Raum registrierte. Sie klimperten und zitterten wie Windspiele. Zekes unterschied sich stark von den anderen. Sein Klang war tiefer, wie ein Mollakkord. Ich versuchte, etwas zu erkennen – eine Erinnerung oder irgendwelche Ängste, aber da war absolut nichts. Wo normalerweise Bilder aufflackerten wie in einem alten, unscharfen Film, sah ich jetzt nur Schwärze. Seine Empfindungen waren versiegelt.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und ich kehrte ruckartig aus dem Æther zurück. Zeke zitterte unkontrolliert und hielt sich die Ohren zu. »Das reicht.« Nick stand hinter mir und zog mich hoch. »Schluss jetzt, das wird sie nicht tun. Ist mir ganz egal, wie viel du mir bezahlst, Jaxon, du bezahlst mich mit Blutdiamanten.« Er ging zum Fenster und riss es auf. »Komm, Paige, du machst jetzt Pause.«
Ich war vollkommen erschöpft, hätte Nick aber nie etwas abgeschlagen. Jaxon sah mir giftig hinterher. Morgen wäre er wieder anders, wenn er erst mal mit dem Wein durch war. Ich setzte mich auf das Fensterbrett und ließ mich auf die Regenrinne hinuntergleiten. Meine Sicht war noch leicht verschwommen.
Sobald er das Dach erreicht hatte, rannte Nick los. Heute war er verdammt schnell, und er ließ nicht nach. Zum Glück floss das Adrenalin noch durch meine Adern, sonst hätte ich niemals mithalten können.
Das machten wir oft, einen kleinen Ausflug durch die Stadt. Theoretisch verkörperte London alles, was ich hasste: groß, grau und trist, neun von zehn Tagen verregnet. Die Stadt dröhnte, stampfte und pulsierte wie ein menschliches Herz. Aber nach zwei Jahren Training mit Nick, der mir zeigte, wie man sich über die Dächer bewegte, war die Zitadelle zu meiner Zufluchtsstätte geworden. Ich konnte den Verkehr unter mir lassen und über den Köpfen der NVD dahinfliegen. Wie Blut schoss ich durch die Adern der Stadt, durch die verschlungenen Straßen und Gassen. Ich war voller Energie, bis zum Bersten mit Leben angefüllt. Wenn schon nirgendwo sonst – wenigstens hier draußen war ich frei.
Nick sprang in eine Gasse hinab, anschließend liefen wir eine belebte Straße entlang, bis wir am Leicester Square rauskamen. Ohne die kleinste Atempause kletterte Nick auf das nächste Gebäude, direkt neben dem Hippodrome Casino. Hier gab es jede Menge Hilfestellung in Form von Nischen, Fensterbrettern, Simsen und Ähnlichem, trotzdem glaubte ich nicht, dass ich mithalten könnte. Selbst das Adrenalin kam jetzt nicht mehr gegen die Erschöpfung an.
»Was hast
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