The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Zeit.«
Nick ging zum Tor hinüber, wo Jaxon stand und anscheinend dabei war, sich den Ætherzaun genauer anzusehen. Ich stellte mich neben den Wächter.
»Die Sache mit Liss tut mir leid«, sagte er.
»Mir auch.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Gomeisa ihren Tod niemals vergisst.«
»Du hast ihn nicht umgebracht?«
»Die Explosion hat uns unterbrochen. Gomeisa war wesentlich stärker als wir, da er sich gerade genährt hatte, aber wir haben ihn zumindest geschwächt. Vielleicht hat das Feuer in der Gildehalle den Rest erledigt.«
Selbst jetzt trug er noch seine Handschuhe. Das löste etwas in mir aus – Schmerz? Hatte ich wirklich geglaubt, er würde sich einfach so ändern?
Der Wächter sah mir unverwandt in die Augen. Das goldene Band vibrierte leise. Ich wusste nicht, was er mir mitteilen wollte, war aber plötzlich hoch konzentriert. Und entschlossen. Meine Finger legten sich fest um die Leuchtpistole, während der Wächter einen Schritt zurücktrat. Ich suchte mir einen Punkt am Himmel über dem Trainingsgelände, zog den Bolzen zurück und wandte den Kopf ab.
*
Die Leuchtrakete hing über dem Gelände und versprühte ein Signal nach dem anderen. Mit dem Wächter neben mir stand ich da und sah zu, wie sie langsam ausbrannte. Das rote Licht spiegelte sich in seinen Augen und zeichnete bunte Muster vor unsere Füße.
Dann wanderte mein Blick weiter zu den Sternen. Vielleicht war es das letzte Mal, dass ich sie so klar vor mir sah, in einer Stadt ohne Licht und ohne Smog. Oder vielleicht würde eines Tages auch die ganze Welt so sein. Eine Welt unter Nashiras Herrschaft – eine einzige, große, finstere Gefängnisstadt.
Der Wächter berührte sanft meinen Rücken. »Wir müssen gehen.«
Ich folgte ihm zum Tor. Als er es öffnete, liefen die Seher und Amaurotiker, insgesamt waren es acht, eilig auf das Gelände. Sobald wir drin waren, zog er das Tor weit auf und brachte ein weiteres Fläschchen zum Vorschein. Er hatte mehr Fläschchenvorräte als jeder Salbenmischer.
Bei diesem hier war der Inhalt hell und körnig. Salz. Er streute eine dünne Linie auf die Torschwelle. Ich wollte ihn schon nach den Emim fragen, als Jax mich plötzlich am Kragen packte und mit voller Wucht gegen den Torpfosten schleuderte. Der Zaun war so nah, dass meine Haare zu schweben anfingen.
»Idiotin.« Jax verlagerte den Griff an meinen Ausschnitt. »Du hast ihnen gerade auf den Punkt genau verraten, wo wir sind, du dummes Mädchen.«
»Ich zeige allen , wo wir sind. Ich werde diese ganzen Menschen bestimmt nicht einfach dem Tod überlassen, Jaxon«, wehrte ich mich. »Sie sind Seher.«
Seine Gesichtsmuskeln zuckten, dann verzerrte nackte Wut sein Antlitz. Das war der Jaxon, vor dem ich schon immer Angst gehabt hatte: der Mann, in dessen Händen mein Leben lag.
»Ich habe mich bereit erklärt, hierherzukommen, um meine Traumwandlerin zurückzuholen«, keuchte er. »Aber nicht, um irgendwelchen Wahrsager- und Augurenabschaum zu retten.«
»Nicht mein Problem.«
»Und ob das dein Problem ist. Wenn du noch irgendetwas tust, was dieses Unterfangen gefährden könnte – das nur dazu dient, dich zu retten, du undankbare kleine Kröte – , dann werde ich dafür sorgen, dass du für den Rest deines Lebens im Schlamm arbeitest. Ich werde dich in die Slums von Jacob’s Island schicken, da kannst du dich dann als Straßenkünstlerin verdingen, zusammen mit den Eingeweideschauern und den Leichenfledderern und dem ganzen anderen Dreck , der am Rand der Welt so angespült wird. Wirst schon sehen, was die für dich tun.« Seine kalte Hand schloss sich um meine Kehle. »Diese Menschen sind entbehrlich. Wir sind es nicht. Mag sein, dass du dir hier ein wenig Unabhängigkeit erkämpft hast, meine Süße, aber du wirst tun, was man dir sagt. Und wir werden alles hübsch wieder so machen wie vorher.«
Seine Worte schienen Schicht um Schicht meiner Traumlandschaft abzutragen. Plötzlich war ich wieder die Sechzehnjährige, die Angst vor der Welt hatte, Angst vor dem, was sie in sich trug. Dann legte ich meine innere Rüstung an, und ich wurde zu einer anderen.
»Nein«, sagte ich entschlossen. »Ich kündige.«
Ihm entgleisten die Gesichtszüge.
»Bei den Sieben Siegeln kann man nicht einfach kündigen «, protestierte er.
»Habe ich aber gerade.«
»Dein Leben ist mein Eigentum. Wir haben eine Vereinbarung, du hast einen Vertrag unterschrieben.«
»Ist mir doch egal, was die anderen Denkerfürsten sagen. Wenn ich wirklich dein
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