The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Knallte gegen seine Traumlandschaft, drang mit aller Gewalt in seine tiefste Bewusstseinszone ein und sprang sofort in meinen Körper zurück. Das alles passierte so schnell, dass ich mich noch mit den Händen abfangen konnte, bevor ich mit dem Kinn auf dem Pflaster aufschlug. Ohne auch nur zu ahnen, was gerade passiert war, riss Nell sich los und rammte dem Reph zu ihrer Rechten ein Messer in die Seite. Gleichzeitig zog sie wie aus dem Nichts einen Geist an sich und schleuderte ihn in sein Gesicht. Er stieß ein ekelhaftes Fauchen aus. Sein Gefährte hingegen war immer noch dabei, sich von meinem Angriff zu erholen. Nell sammelte ihre verstreuten Habseligkeiten auf und rannte um ihr Leben.
Die beiden Rephs waren zwar verletzt, aber immer noch gefährlich. Der, den ich angegriffen hatte, sah mit orange leuchtenden Augen hoch, richtete seinen Blick auf mich. Dann zog er ein Messer aus einer am Arm befestigten Scheide. »Zurück mit dir in den Æther, Traumwandlerin.«
Die Klinge flog auf mein Gesicht zu. Ich wich nicht schnell genug aus, sodass sie meinen Arm streifte. Nick eröffnete das Feuer. Die Kugel traf den Reph mitten in die Brust … ohne jede Wirkung. Ich ließ meinen Geist auf seine Traumlandschaft los. Dieser zweite Angriff schwächte ihn sichtlich. Ich griff nach dem Messer, das er gerade erst nach mir geworfen hatte, und stieß es ihm in die Kehle.
Mein Fehler war, dass ich seinen Kumpan vergaß. Der zweite Reph prallte mit solcher Wucht gegen mich, dass mir die Luft aus der Lunge gedrückt wurde, und ich unter ihm auf dem Boden landete. Seine riesige Faust schlug nur Zentimeter neben meinem Kopf ein.
Nick warf seine Waffe weg. Als der Reph zum zweiten Mal ausholte, schnappte er sich drei Geister und schickte sie in schneller Abfolge los. Ich spürte die Bewegung im Æther, als er gleichzeitig ein grelles Bild in der Traumlandschaft des Reph platzierte und ihn so blendete. Im nächsten Moment rollte der sich von mir herunter und kämpfte gegen die Geister und die ungewollte Vision an, sodass ich aufspringen konnte und zu Nick zurücklief.
Weit kamen wir nicht, bevor sich mein sechster Sinn meldete. Ich riss den Kopf herum, um die Gefahr vor mir zu haben.
»Nick!«
Er begriff. In einer einzigen geschmeidigen Bewegung streifte er seinen Rucksack ab und zog einen weiteren Geist heran. Das Ziel war keine Unbekannte: Aludra Chertan.
»Träumerin.« Sie würdigte Nick keines Blickes. »Ich denke, für deine kleine Vorstellung in der Kapelle bin ich dir noch etwas schuldig.«
»Keinen Schritt weiter«, sagte Nick.
»Aber du siehst so erfrischend aus.«
Ihre Augen wechselten die Farbe.
Nicks Gesicht verzerrte sich. Blut drang aus seinen Tränenkanälen, und die Adern an seinem Hals traten deutlich hervor. »Fast so erfrischend wie die Wandlerin«, fuhr Aludra fort und kam langsam auf uns zu. »Vielleicht behalte ich dich ja, Orakel.«
In dem Versuch, sich auf den Beinen zu halten, stützte Nick sich schwer auf seine Knie. »Ich habe euren Thronfolger getötet«, sagte ich. »Glaub bloß nicht, dass ich mit dir nicht dasselbe mache. Kriech einfach zurück in das beschissene Drecksloch, aus dem du gekommen bist.«
»Kraz war überheblich. Das bin ich nicht. Ich weiß genau, welche meiner Feinde meine kostbare Zeit wert sind.«
»Und ich bin einer davon.«
»Allerdings.«
Ich erstarrte. Hinter ihr regte sich etwas: ein Schatten. Ein massiger, schwerfälliger Schatten. Doch ihre Gier machte sie blind gegen den verwesenden Riesen. Ich hingegen wusste genau, was dieser Fleck im Æther bedeutete. »Wie viele Minuten erübrigst du denn für mich?«
»Nur eine einzige.« Sie hob die Hand. »Doch eine Minute ist mehr als ausreichend, um zu sterben.«
Dann veränderte sich ihre Miene. Blankes Entsetzen verdrängte den Spott, aber sie drehte sich zu langsam um. Das Ding hatte sie gepackt, bevor sie sich auch nur wehren konnte. Weiße, tote Augen. Da die Gaslaternen bei seinem Auftritt erloschen waren, konnte ich nur Teile von ihm erkennen, doch das reichte aus, um sich auf ewig in mein Gedächtnis einzubrennen, so tief, dass es eine Narbe im feinen Gewebe meiner Traumlandschaft hinterließ. Aludra hatte nicht die geringste Chance. Ihr Schrei verstummte, bevor er sich voll entfalten konnte.
»Stimmt«, stellte ich fest. »Das ist mehr als ausreichend.«
Nick war starr vor Schreck. Er hatte die Augen aufgerissen und die Lippen zusammengepresst. Ich packte seinen Arm und rannte los.
Wir liefen um unser
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