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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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gehüllten Finger auf mein Knie legte, entzog ich ihm das Bein so hastig, dass der Schmerz bis zu den Zehen hinunterschoss. »Fass mich nicht an.«
    »Das Brandzeichen wird irgendwann nicht mehr wehtun«, versicherte er mir. »Mit deiner Oberschenkelarterie verhält es sich allerdings anders.«
    Seine Hand wanderte ein Stück nach unten, und er zog die Decke von meinem Bein. Als ich den nackten Oberschenkel sah, hätte ich mich fast ein zweites Mal übergeben. Er war mit Blutergüssen übersät, die sich fast bis zum Knie hinunterzogen, und dabei extrem stark angeschwollen. In der Leistengegend hatte sich so viel Blut unter der Haut angesammelt, dass sie fast schwarz wirkte. Der Wächter übte ein klein wenig Druck auf das Bein aus, nicht einmal genug, um ein Haar zu zerreißen. Ich schluckte krampfhaft.
    »Diese Verletzung wird nicht von allein vergehen. Keine durch Flux verursachte Wunde kann ohne ein zweites, stärkeres Gegenmittel heilen.«
    Wenn er fester zudrückte, würde ich sterben.
    »Fahr zur Hölle«, presste ich hervor.
    »Es gibt keine Hölle, nur den Æther.«
    Ich biss die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen. Das verlangte mir so viel Kraft ab, dass ich anfing zu zittern. Der Wächter zog die Hand zurück und wandte sich ab.
    Keine Ahnung, wie lange ich dort lag, völlig entkräftet und halb bewusstlos. Und immer wieder ging mir durch den Kopf, wie herrlich es für ihn sein musste, dass nun das natürliche Rollenverhältnis zwischen uns wiederhergestellt war. Diesmal hatte er Macht über mich, die Macht, mich leiden und schwitzen zu sehen. Und diesmal war er derjenige mit dem Heilmittel.
    Der Morgen brach an. Die Uhr tickte. Der Wächter saß einfach nur in seinem Sessel und kümmerte sich um das Feuer. Mir war schleierhaft, worauf er eigentlich wartete. Falls er glaubte, ich würde meine Meinung in Bezug auf das Gegenmittel ändern, würde er noch verdammt lange da rumhocken. Vielleicht hatte man ihm aber auch befohlen, mich zu beobachten, um sicherzugehen, dass ich mich nicht umbrachte. Und ich kann nicht behaupten, dass ich es nicht gerne versucht hätte, denn die Schmerzen waren grauenhaft. Mein Bein war ganz steif, es bewegte sich nur, wenn es krampfte. Die geschwollene Haut spannte und glänzte wie eine Blase, die kurz vor dem Platzen steht.
    Während die Stunden vergingen, wanderte der Wächter durch das Zimmer: zum Fenster, zurück zum Sessel, ins Badezimmer, zum Schreibtisch, dann wieder zum Sessel. Fast so, als wäre ich gar nicht da. Einmal ging er fort und kam wenig später mit einer Portion warmem Brot zurück, die ich aber nicht anrührte. Sollte er ruhig denken, ich wäre in den Hungerstreik getreten. Ich wollte meine Macht zurück. Dann würde ich dafür sorgen, dass er sich genauso klein fühlte wie ich jetzt.
    Die Schmerzen in meinem Bein wurden einfach nicht besser, ganz im Gegenteil. Ich drückte auf die verfärbte Haut, immer fester und fester, bis Sterne vor meinen Augen flimmerten. Eigentlich hatte ich gehofft, mir damit ein paar Stunden der Erleichterung zu erschaffen, indem ich bewusstlos wurde, aber es sorgte nur dafür, dass ich mich wieder übergeben musste. Der Wächter sah zu, wie ich die Magensäure in eine Schüssel spie. Sein Blick war vollkommen leer. Er wartete darauf, dass ich aufgab und anfing zu betteln.
    Verschwommen sah ich die Schüssel vor mir. Jetzt würgte ich schon klumpiges Blut mit hoch. Kraftlos sackte mein Kopf in die Kissen.
    Offenbar war ich doch ohnmächtig geworden, denn als ich aufwachte, wurde es schon wieder dunkel. Julian wunderte sich bestimmt, wo ich blieb, zumindest falls es ihm gelungen war, seine Residenz zu verlassen. Was eher unwahrscheinlich war. Mein Gehirn konnte sich auf solche Überlegungen nur einlassen, weil all die Schmerzen seltsamerweise verschwunden waren.
    Genau wie das Gefühl in meinem Bein.
    Angst kroch in mir hoch. Ich versuchte die Zehen zu bewegen, mit dem Knöchel zu kreisen, aber es passierte nichts.
    Der Wächter war neben mir.
    »Ich sollte nicht unerwähnt lassen, dass du dein Bein höchstwahrscheinlich verlieren wirst, wenn die Infektion nicht behandelt wird. Oder sogar dein Leben.«
    Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, aber durch die Kotzerei war ich völlig ausgetrocknet. Stattdessen schüttelte ich nur den Kopf. Mir wurde schon wieder schwarz vor Augen.
    »Sei kein Narr.« Er umfasste meinen Schädel und zwang mich, ihn anzusehen. »Du brauchst deine Beine.«
    Damit erwischte er mich eiskalt, denn

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