The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
Schmerzen weg.
Der blonde Mann saß neben mir. Noch heute habe ich sein Lächeln vor Augen, ein einfaches, schmales Lächeln, das mich zurückstrahlen ließ. Er sah aus wie ein Märchenprinz.
»Hallo, Paige«, begrüßte er mich.
Ich fragte ihn, wo ich sei.
»Im Krankenhaus. Ich bin dein Arzt.«
»Du siehst aber viel zu jung aus für einen Arzt«, protestierte ich. Und nicht Furcht einflößend genug. »Wie alt bist du?«
»Ich bin achtzehn. Noch bin ich in der Ausbildung.«
»Du hast aber meinen Arm nicht irgendwie komisch zugenäht, oder?«
Er lachte. »Na ja, ich habe mir alle Mühe gegeben. Du wirst mir schon selbst sagen müssen, wie es dir gefällt.«
Dann erklärte er mir, dass er meinen Vater informiert habe, wo ich sei, und dass dieser bereits auf dem Weg zu mir wäre. Ich sagte ihm, dass ich mich komisch fühlte. Das sei normal, antwortete er, aber ich müsse mich gut ausruhen, damit das vergehe. Jetzt dürfe ich noch nichts essen, aber zum Abendbrot würde er mir etwas Feines besorgen. Den Rest des Tages blieb er an meinem Bett sitzen, nur einmal ging er kurz fort, um mir aus der Krankenhauscafeteria Sandwiches und eine Flasche Apfelsaft zu holen. Mein Vater hatte mir eingeschärft, dass ich nicht mit Fremden reden sollte, aber vor diesem netten, sanftmütigen Jungen hatte ich keine Angst.
Dr. Nicklas Nygård, Austauschstudent aus der Zitadelle Stockholm, hielt mich die Nacht über am Leben. Er half mir über den Schock hinweg, dass ich zu einer wahren Seherin wurde. Wäre er nicht gewesen, hätte ich das alles vielleicht gar nicht verkraftet.
Einige Tage später brachte mein Vater mich nach Hause. Er kannte Nick von einer Konferenz. Nick absolvierte einen Teil seiner Ausbildung in dieser Kleinstadt, bevor er seine endgültige Stelle bei Sci SORS antrat. Er hat mir nie verraten, was er in diesem Mohnblumenfeld verloren hatte. Während mein Vater im Auto auf mich wartete, hockte Nick sich vor mich hin und ergriff meine Hände. Ich weiß noch, wie schön ich ihn fand, mit den perfekt geschwungenen Brauen über diesen eisgrünen Augen.
»Paige, hör mir zu«, bat er leise. »Das ist sehr wichtig. Ich habe deinem Vater gesagt, dass du von einem Hund angefallen wurdest.«
»Aber es war doch eine Frau.«
»Ja, schon. Aber diese Frau war unsichtbar, sötnos . Einige Erwachsene wissen nichts von den unsichtbaren Dingen.«
»Du schon«, betonte ich, in vollstem Vertrauen auf seine Weisheit.
»Ich schon. Doch ich will vermeiden, dass andere Erwachsene mich auslachen, deshalb erzähle ich ihnen nichts davon.« Er streichelte kurz über meine Wange. »Du darfst niemals irgendjemandem von der Frau erzählen, Paige. Das bleibt unser Geheimnis, versprochen?«
Ich nickte. Ich hätte ihm einfach alles versprochen. Er hatte mir das Leben gerettet. Als mein Vater losfuhr, Richtung Zitadelle, beobachtete ich Nick durch das Wagenfenster. Er hob die Hand und winkte mir zu. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, bis wir um eine Ecke bogen.
Die Narben von diesem Angriff hatte ich immer noch. Sie bildeten einen unregelmäßigen Knubbel in meiner linken Handfläche. Der Geist hatte noch andere Wunden geschlagen, bis hoch zum Ellbogen, aber nur die an der Hand hatte bleibende Spuren hinterlassen.
Und ich hielt mein Versprechen. Sieben Jahre lang sagte ich kein Wort und schloss sein Geheimnis in meinem Herzen ein wie eine zarte Blume. Nur wenn ich allein war, erlaubte ich mir, daran zu denken. Nick kannte die Wahrheit. Er hatte den Schlüssel. Und die ganze Zeit über fragte ich mich, wohin es ihn wohl verschlagen hatte, und ob er manchmal noch an das kleine irische Mädchen dachte, das er durch das Mohnblumenfeld getragen hatte. Nach sieben langen Jahren bekam ich dann meine Belohnung: Er spürte mich erneut auf. Wenn er mich jetzt doch auch aufspüren könnte.
*
Von unten drang kein Laut herauf. Die Stunden zogen sich hin, während ich irgendetwas zu hören versuchte, Schritte vielleicht oder den Klang einer Grammophonmelodie. Doch da war nichts außer drückender Stille.
Den Großteil des Tages verschlief ich, erschöpft vom Fieber, den Überresten der letzten Fluxvergiftung. Immer wieder schreckte ich hoch, getrieben von Bildern aus der Vergangenheit. Hatte ich je etwas anderes getragen als diese Tunika und diese Stiefel? Hatte ich wirklich eine Welt gekannt, in der es keine Geister gab, keine umherstreifenden Toten? Keine Emim, keine Rephaim?
Schließlich weckte mich ein Klopfen. Mir blieb gerade noch genug
Weitere Kostenlose Bücher