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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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Zeit, mir die Decke über den Körper zu ziehen, bevor der Wächter das Zimmer betrat.
    »Die Glocke wird bald schlagen.« Er legte eine frische Uniform ans Fußende des Bettes. »Zieh dich an.«
    Schweigend sah ich ihn an. Kurz erwiderte er meinen Blick, dann ging er und zog die Tür hinter sich zu. Mir blieb wohl keine andere Wahl. Ich stand auf, drehte meine Locken zu einem Knoten und wusch mich mit eiskaltem Wasser. Dann legte ich die Uniform an und zog den Reißverschluss der Weste bis zum Kinn zu. Mein Bein schien vollständig verheilt zu sein.
    Als ich hinunterkam, blätterte der Wächter gerade in einem angestaubten Roman: Frankenstein . Fantastische Literatur dieser Art hatte Scion verboten, nichts mit Monstern oder Geistern war erlaubt. Überhaupt nichts Widernatürliches. Am liebsten hätte ich mir das Buch geschnappt und selbst die Seiten überflogen. In Jaxons Bücherregal hatte ich einmal eine Ausgabe davon gesehen, aber nie die Zeit gefunden, es zu lesen. Der Wächter legte seine Lektüre beiseite und stand auf.
    »Bist du bereit?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Gut.« Er zögerte kurz, bevor er fragte: »Sag mir, Paige … wie sieht deine Traumlandschaft aus?«
    Die Frage war so direkt, dass ich völlig überrumpelt war. Unter Sehern galt es als unhöflich, sich nach so etwas zu erkundigen. »Ein Feld mit roten Blumen.«
    »Welche Art von Blumen?«
    »Mohnblumen.«
    Keine Antwort. Stattdessen nahm er seine Handschuhe, streifte sie über und führte mich aus dem Raum. Die Tagesglocke hatte noch nicht geläutet, doch der Pförtner ließ uns wortlos passieren. Niemand stellte infrage, was Arcturus Mesarthim tat.
    Tageslicht, das hatte ich lange nicht mehr gesehen. Die Sonne ging gerade unter, sodass die Konturen der Gebäude leicht verschwammen. Sheol I erstrahlte in einer schwindenden Glut. Ich hatte geglaubt, unser Training würde drinnen stattfinden, doch der Wächter führte mich nach Norden, vorbei am Haus der Amaurotiker in unbekanntes Gelände.
    Die Gebäude am äußersten Rand der Stadt waren alle verlassen. Sie waren baufällig, die Fensterscheiben waren zerschlagen und einige Wände und Dächer trugen Spuren von Feuer. Vielleicht hatte es hier ja wirklich einmal gebrannt. Wir gingen durch eine Straße, in der die Häuser dicht an dicht standen. Die reinste Geisterstadt, keine lebende Seele weit und breit. Nur Geister spürte ich hier, verbitterte Geister, die ihr verlorenes Heim herbeisehnten. Einige waren schwache Poltergeister. Mich mahnte das zur Vorsicht, aber der Wächter zeigte keinerlei Furcht. Keiner von ihnen kam ihm zu nahe.
    Wir ließen die letzten Gebäude hinter uns. Mein Atem bildete weiße Wolken. Vor mir erstreckte sich so weit das Auge reichte eine Wiese. Das Gras war tot und Raureif glitzerte auf der Erde. Was schon seltsam war im Frühling. Das Areal war von einem fast zehn Meter hohen Zaun umgeben, der noch dazu mit Stacheldraht gekrönt war. Jenseits davon wuchsen Bäume, die ebenfalls mit Reif überzogen waren. Sie standen so dicht am Rand der Wiese, dass sie jeden Blick auf das Land dahinter blockierten. Auf einem verrosteten Schild stand: Port Meadow. Nur zu Trainingszwecken zu nutzen. Einsatz tödlicher Kraft erlaubt. Und vor dem Tor im Zaun wartete ebenso eine tödliche Kraft: ein männlicher Rephait.
    Seine goldblonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Neben ihm stand eine dünne, schmutzige Gestalt mit kahl rasiertem Schädel: Ivy, die Handleserin. Sie trug eine gelbe Tunika, Kennzeichen der Feiglinge. Am Hals war der Stoff so zerrissen, dass ihre knochige Schulter ungeschützt der Kälte ausgesetzt wurde. So sah ich auch ihr Brandzeichen: XX -59–24. Als der Wächter weiterging, folgte ich ihm schnell. Ivys Hüter bemerkte uns und verbeugte sich tief.
    »Siehe da, die königliche Konkubine«, sagte er. »Was führt dich nach Port Meadow?«
    Im ersten Moment dachte ich, er meinte mich. Bisher hatte ich noch nie erlebt, dass ein Reph mit solchem Abscheu mit einem anderen seiner Art sprach. Dann wurde mir klar, dass er meinen Hüter anstarrte.
    »Ich bin hier, um meinen Menschen zu unterrichten.« Der Wächter blickte demonstrativ auf die Wiese hinaus. »Öffne das Tor, Thuban.«
    »Nur Geduld, Konkubine. Ist es bewaffnet?«
    Er meinte mich, das Menschenvieh. »Nein«, erwiderte der Wächter, »ist sie nicht.«
    »Nummer?«
    » XX -59–40.«
    »Alter?«
    Kurzer Blick zu mir. »Neunzehn«, half ich aus.
    »Verfügt es über die Zweitsicht?«
    »Diese

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