The Cocka Hola Company: Roman
weiter zu vernehmen, sie soll ihm einfach nur erzählen, was passiert ist, weiter braucht sie sich um nichts zu kümmern, sie soll nur einfach alle Details von jenem Nachmittag und Abend schildern, vom ersten Anruf bis zu dem Moment, wo er sie vergiftet hat und sie eingeschlafen ist, den Rest soll sie ihm überlassen, also Berlitz. »Zeig du ihm die Spitze des Eisbergs, ich sorge schon dafür, dass Inspektor Krauss sich um das kümmert, was unten in der Tiefe lauert«, sagt Berlitz mit starrem Blick. Monica nickt ergeben, ihre bebenden Lippen irritieren ihn derart, dass Berlitz an seinem Ehering spielt. Den ganzen Vormittag über hat sich Monica innerlich schon auf die Vernehmung vorbereitet und ist genauso erpicht darauf wie Berlitz, Simpel möglichst tief reinzureißen; sie hat sich noch nie so betrogen und missbraucht gefühlt, geistig und gefühlsmäßig vergewaltigt, wie durch Simpels Tat; sie ist zutiefst einer Meinung mit Berlitz, nur haben die Eheleute Berlitz leider alle Körpersprache verschlissen, das gesamte Repertoire an Gesten, mit denen sie sich verständigen könnten. Sie haben die Reaktionen des anderen einfach über. Wahrscheinlich überleben die meisten Langzeitehen nur dank kleiner, interner Gesten, einer Art zwischenmenschlicher Mindestkontaktfläche; Berlitz’ und Monica B. Lexows Problem ist, dass sie so etwas nicht mehr haben.
Bis abends um sechs sitzt Berlitz bei ihr, dann fährt er nach Hause. Angeblich um zu arbeiten, in Wahrheit holt er DEEP SUMMER aus seinem geheimen Videolager, um knapp eineinhalb Stunden vorm Bildschirm zu masturbieren. Die große Neuerung heute sind natürlich Berlitz’ glattrasierte Genitalien, mit denen er die ganze Zeit hingerissen spielt. Zur Feier des Tages macht er sogar eine gute Flasche Wein auf, so freut er sich, dass Monica auf gar keinen Fall hereinplatzen und seine Sitzung unterbrechen kann. DEEP SUMMER spiegelt sich im Bordeaux, das bauchige Glas steht neben ihm auf dem Boden, und Berlitz ist eine geschlagene Stunde lang glücklich. Ungetrübter Hochgenuss.
SAMSTAG, 19. DEZEMBER
Simpel hat wohlgemerkt schon dann und wann mal eine Nacht auf der Polizeiwache verbracht, aber eine richtige Gefängniszelle hat er noch nie von innen gesehen. Jetzt nennt er eine sein Eigen. Wie die meisten von uns es wären, ist er glücklich, dass ihm hier alle Entscheidungszwänge abgenommen sind. Würde man ihn fragen, so würde er die Zelle als die perfekte Konzentrationskammer bezeichnen und das Gefängnis als das perfekte Konzentrationslager – im besten Sinn, als einen Ort, an dem man sich konzentrieren kann. In der Zelle befinden sich eine Pritsche, ein Schreibtisch unterm Fenster und ein kleiner Kleiderschrank. Gleich gestern Nachmittag hat er einen Wärter um Papier und Stift gebeten und beides bekommen. Bis nachts um drei hat er höchst inspiriert dagesessen und kleine Sätze aufs Papier geschrieben, hat Blatt um Blatt auf einen Stapel gelegt, neben den Stapel mit unbeschriebenem Papier. Voll Begeisterung malt er sich aus, wie viel er zwischen den Gefängnismauern wird arbeiten können. Er ist nicht gespannt, wie lange sie ihm aufbrummen werden, sondern wie viel er produzieren wird, während er einsitzt. Unter anderem hat er geschrieben:
CONTROLLING THE MEANS OF DESTRUCTION
MC COMPLEXITY
THE COFFEETABLEIZATION OF EVERYTHING
THE EVOLUTION OF THEORY
PLAGUE/PARTY – APOTHEQUE/DISCOTHEQUE
RED LIGHT IN SIGHT
BAN THIS
CORPS
ARE YOU NOT ENTERTAINED?
TRAUMA-BOY
SHIP OF FOOLS
693 DARK AVENUE
MY STYLE IS MY CASTLE
Auf Englisch schreibt er, da er sich mit fortschreitender Nacht immer stärker zu internationalem Format auflaufen gefühlt hat. Das einzige Shakespeare-Zitat, das er auswendig kann, hat er in seiner kleinen Zelle immer aufs Neue wiederholt, oft auch mehrfach hintereinander: »I could be bounded in a nutshell and count myself a king of infinite space.« »I could be bounded in a nutshell and count myself a king of infinite space.« usw., was sich auch als pure bescheuerte Sentimentalität bezeichnen ließe. Er hat sich diese Situation schon so lang gewünscht, dass er in dieser Nacht seine blühenden Gefühle nicht unter Kontrolle kriegt. Zwischen den intensiven schöpferischen Phasen hat er längere Zeit vor dem kleinen Stahlspiegel an der Zellenwand gestanden und sich darin betrachtet. Auch sehr angenehm, dass der Spiegel so klein ist, hat er gedacht. Simpel ist kein hässlicher Kerl, aber wie die meisten Männer um die vierzig muss er sich doch wild
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