The Cocka Hola Company: Roman
ihnen Namen und führe sie durch. Eine meiner ersten Aktionen war TRAM SLAM. Da bin ich in die Straßenbahn gestiegen, ein paar Stationen vor einer Kreuzung, wo im Winter immer die Weichen einfrieren. Ich hab mich direkt hinter den Fahrer gesetzt, und als der ausgestiegen ist, um die Weiche manuell zu stellen, bin ich auf seinen Platz und losgefahren. Fast hätte ich ihn überrollt, aber er hat noch beiseite springen können, und den Rest der Fahrt habe ich aufs Gas gedrückt, dass es nur so geraucht hat, und ins Mikro gebölkt: »SICHER NACH HAUSE MIT DEN ÖFFENTLICHEN VERKEHRSMITTELN! WIR LERNEN UNSERE STRECKE KENNEN!«
Die Gäste, die drinnen um den Tisch sitzen, drehen sich zum Balkon um, aber sie sehen kaum mehr als zwei glühende Zigaretten. Simpel senkt die Stimme.
Simpel: Mitten im Berufsverkehr, wo die Leute am apathischsten auf den Sitzen hängen. Das hat Leben in die Bude gebracht! Der Witz an der ganzen Sache war natürlich, dass es eine Straßenbahn entführung war, also mit einem Fahrzeug, mit dem man gar nicht abhauen kann, ja; ich bin haargenau dieselbe Strecke gefahren, und die Polizei konnte ohne die geringste Mühe wissen, wo ich langkomme …
Robert: Hehe … bis zur Endstation?
Simpel: Bis zur Endstation. Hehe …
Robert: Und was war die Strafe?
Simpel: Och, paar Wochen auf Bewährung, keine Vorstrafe. Das war jede einzige Sekunde wert.
Robert: Und andere Aktionen?
Simpel: Mal sehen … ja, gleich nach TRAM SLAM hatte ich SCHAUT MAL WAS ICH MIT DER STEUERERKLÄRUNG MACHE. Das ist das einzige Video, das ich gemacht habe. Und auch das nur aus praktischen Gründen. Die Aktion bestand nämlich ganz einfach darin, dass ich vor der Kamera auf die bereits vollständig ausgefüllte Steuererklärung schiss, also buchstäblich kackte. Close up: das Formular auf dem Boden, mein Arsch und eine fette Kackwurst. Und dann hab ich statt der Erklärung die Kassette ans Finanzamt geschickt, fristgemäß.
Robert: Und was ist passiert?
Simpel: Nichts. Sie haben mir neue Formulare geschickt und angedroht, sie würden … ach, ich weiß gar nicht mehr, was.
Robert: He he he.
Simpel: Dann kam SCHLAFEN VERBOTEN, da habe ich die Angehörigen der arbeitenden Bevölkerung, die in der Öffentlichkeit schliefen, in Bussen oder im Bahnhof, angerempelt oder geschlagen, und bevor sie irgendwie reagieren konnten, habe ich sie angeschrien: »SCHÄMST DU DICH DENN GAR NICHT? WIE KOMMST DU DAZU, IN ALLER ÖFFENTLICHKEIT ZU SCHLAFEN WIE EIN WRACK! WAS IST DAS FÜR EIN BENEHMEN! WENN DU AUF TOD ODER LEBEN SCHLAFEN WILLST, DANN GEH GEFÄLLIGST NACH HAUSE!«
Wieder blicken die Gäste gen Balkon, wieder senkt Simpel die Stimme. MedienRobert lacht schallend und schüttelt den Kopf.
Robert: Also wirklich … hehe … irre, wirklich irre. Ganz schön heftig, was du da machst …
Simpel: Und das ist verdammt noch nicht alles. Interesse an mehr?
Robert: Klar, verdammt! Wart nur mal kurz, ich muss meiner Frau sagen, dass sie sich allein um das Fest kümmern soll, Momentchen … hehe …
Robert macht die Balkontür auf und geht zu Pauline-Pupsines Mutter rein. Er reibt sich die frostkalten Hände. Sie wechseln einige Worte. Simpel sieht die Gastgeberin ein paarmal herausblicken. Er freut sich über Roberts Interesse. Der tut was, um Simpel weiter zuhören zu können. Seine Frau nickt leicht, und Robert kommt wieder raus.
Robert (etwas atemlos, Schreibtischkondition, ganz klar): Jau, Elise kümmert sich um die Gäste und zeigt den Film und so, es kann weitergehen.
Er gibt Simpel eine neue Zigarette und Feuer.
Simpel: Ja … dann verschiedene Aktionen, dabei eine etwas introvertierte, die hab ich besonders gemocht, obwohl sie nicht so lustig zu erzählen ist: HYPNAGOGE PARLAMENTSVISION. Da hab ich erst mal eine ordentliche Dosis Diacethylmorphin eingenommen …
Robert: Dia …
Simpel: Heroin … Äitsch, Dope, Stoff, wie du willst, und dann bin ich ins Parlament auf die Besuchertribüne – du weißt ja, da kann man sitzen und den Clowns unten in der Manege zuschauen – und habe da oben einen ganzen Sitzungstag verdöst. Bei dem Projekt ging es eigentlich nur um das subjektive Erlebnis, wie das ist, so zwischen Schlaf- und Wachzustand im Parlament zu sitzen.
Robert: Aber – nimmst du so was öfter?
Simpel: Nein, keine Angst, ich verwende es dann und wann als Material, als Werkzeug, das ist doch nicht so scheißschwer zu begreifen, oder? Nur Idioten halten das für so gefährlich. Im Prinzip ist Heroin nicht
Weitere Kostenlose Bücher