The Cutting
Detective Sessions hat gesagt, den endgültigen Beweis hätte eine DNA-Analyse geliefert.«
»Genau dasselbe. Zum Vergleich haben sie eine Haarprobe vom Bett genommen, absolut naheliegend. Es war klar, dass die Kriminaltechniker dort suchen würden. Speichel aus dem Waschbecken. Einen kompletten Satz abgeschnittener Fingernägel aus dem Mülleimer im Badezimmer. Letztendlich kam mir das alles ein bisschen zu perfekt vor. Und meinem Bekannten auch.«
»Kanes DNA war bis dahin noch nie irgendwo gespeichert worden?«
»Nein.«
»Dann behaupten Sie also, dass das gar nicht Kanes Leichnam war?«
»Ich behaupte, dass es eindeutig uneindeutig ist.«
»Wenn das Opfer nicht Lucas Kane war, wer war es dann?«
»Ich habe keinen Schimmer. Damals haben sich in South Beach jede Menge gut aussehender Jungs auf der Pirsch herumgetrieben. Manche haben ihren Körper verkauft. Manche wollten einfach bloß einen reichen Liebhaber aufreißen. Wenn einer von denen plötzlich verschwunden wäre, wäre das niemandem aufgefallen.«
»Er hätte Kanes Größe und Statur haben müssen. Dieselbe Haarfarbe.«
»Kein größeres Problem.«
»Was ist mit dem Auto?«
»Welches Auto?«
»In einem Ihrer Artikel stand doch, dass Kanes Fingerabdrücke – die Fingerabdrücke der Leiche – mit denen im Auto übereinstimmten.«
»Das ist richtig.«
»Waren die auch alle so perfekt wie die in der Wohnung?«
»Nein. Die Abdrücke im Auto entsprachen ziemlich genau dem, was man erwartet hätte. Es waren auch unvollständige dabei, an der Tür, am Lenkrad, der Gangschaltung, dem Gurtschloss und so weiter. Ich weiß nicht, wie es mit DNA aussah.«
»Hat man im Auto noch andere Fingerabdrücke gefunden?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Dann haben sie den Wagen vielleicht sauber gewischt und dann das Opfer damit herumfahren lassen?«
»Das könnte sein.«
»Haben Sie Allard oder Sessions jemals mit diesen Merkwürdigkeiten konfrontiert?«
»Ja. Zuerst haben sie sich bloß über mich lustig gemacht, meinten, da würde meine Fantasie wohl mit mir durchgehen. Aber so leicht lasse ich mich nicht abschütteln, also habe ich weitergebohrt. Nach einer Weile haben sie sich einfach geweigert, mit mir zu sprechen.«
»Kanes Vater war bei der Beerdigung, nicht wahr?«, erkundigte sich McCabe.
»Ja. Der berühmte Pianist. Ich kann mich an einen traurigen alten Mann erinnern. Er war mit einer sehr viel jüngeren Frau da, angeblich seine Sekretärin. Vielleicht war sie das ja. Vielleicht war sie aber auch mehr. Ich glaube, die Mutter war schon gestorben.«
»Hat irgendjemand daran gedacht, einen Y-Chromosomen-Abgleich zwischen Vater und Sohn zu machen? Dadurch hätte man die Identität des Leichnams ohne jeden Zweifel feststellen können.«
»Hätte in dem Fall auch nichts genützt.«
»Warum nicht?«
»Kane war adoptiert. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte kurz, ich muss mal für kleine Mädchen.«
Melody Bollinger stand auf. McCabe holte ihnen noch zwei Tassen Kaffee und überdachte die verschiedenen Möglichkeiten. Angenommen, Bollinger hatte Recht, und der Tote war gar nicht Lucas Kane gewesen. Pollock hätte das gewusst. Er hatte den Leichnam als Kane identifiziert. Haare, Muttermale und Narben, alles an Ort und Stelle. Hat sogar über den Schniedel des Typen gewitzelt. »Ich vergesse nie einen Penis«, hat er gesagt.
Angenommen, Kane hatte einen anderen umgebracht, um sich selbst als tot auszugeben. Wieso? Damit er zu Harry Lime werden konnte? In dem Film Der Dritte Mann täuscht Harry Lime seinen Tod vor, weil er davon ausgeht, dass die Polizei niemals nach einem Toten suchen würde. Hatte Kane dasselbe getan, aus demselben Grund? Die Namenswahl war ja fast schon zu offensichtlich. War das wieder diese Risikofreude? Was war mit dem Namen des anderen, mit Pollocks Alias: Paul Oliver Duggan? Das war der Name, den der Attentäter in Der Schakal benutzte.
Wieder und wieder ließ McCabe sich Spencers Worte durch den Kopf gehen: Ein tragischer, tragischer Verlust. In mancher Hinsicht war Lucas talentierter als wir alle. Talentiert genug, um bei betagten Patienten Organtransplantationen durchzuführen, nachdem er fünfzehn Jahre lang nicht als Arzt praktiziert hatte? Das kam ihm ziemlich weit hergeholt vor. Talentiert genug, um jemandem dabei zu assistieren? Holland? Wilcox? Oder Spencer? Vielleicht hingen sie ja alle mit drin. Die ganze Asklepios-Gruppe. Die junge, gesunde Menschen tötete, um die Toten ins Leben zurückzuholen.
McCabe
Weitere Kostenlose Bücher