The Cutting
am Ende der Danforth Street, die den berühmten Sohn der Stadt in entspannter Pose in einem überdimensionalen Regiestuhl sitzend zeigte. In der Nähe flatterten riesige Fischdrachen über einem japanischen Restaurant im Wind. Maggie bog halbrechts in die Fore Street ein und gelangte zum Old Port. McCabe sah dem bunten Treiben geistesabwesend zu, während in seinem Kopf Strategien und Ansatzpunkte für das weitere Vorgehen Gestalt annahmen. Er sah ein paar lärmende Teenager, Jungen in Baggy-Hosen und Mädchen, die viel zu viel Haut zeigten. Sie deuteten kichernd auf die albernen Sexspielzeuge im Schaufenster von »Condom Sense«. Drei Musliminnen, Kopf und Körper verhüllt, schenkten demselben Schaufenster im Vorübergehen ein paar verstohlene Blicke.
Würden Sie Kane als einen Freund bezeichnen?, hatte er Hattie gefragt. Sie hatte ironisch gelächelt. Nein, als Freund hätte ich Lucas niemals bezeichnet. Nein. Kane war nicht Hatties Freund. Er war ihr Geliebter. Ein Geliebter, für den sie geeignete Kandidaten mit der richtigen Blutgruppe ausgesucht hatte. Geeignet, um ermordet zu werden. War Spencer tot, weil Hattie ihm alles erzählt hatte? Vielleicht war er ja auch selbst dahintergekommen und hatte Kane zur Rede gestellt. So oder so musste er beseitigt werden – genau wie sie. Als man Harriet im Porsche entdeckt hatte, da lagen Hose und Höschen fein säuberlich zusammengefaltet auf ihrem Schoß. Im Höschen war Sand gewesen. Kane musste sie am Strand gevögelt und noch an Ort und Stelle erstochen haben. Tod im Augenblick des Orgasmus? Er konnte sich gut vorstellen, dass Kane dabei einer abging.
An der Ampel bei der Pearl Street mussten sie warten. Vor ihnen überquerte eine Gruppe Büroangestellte die Straße, die wahrscheinlich früher Schluss gemacht hatten und sich jetzt auf ein schönes Septemberwochenende freuten. Er beneidete sie um diese Freiheit. Es wurde grün, und Maggie fuhr weiter, über die India Street hinweg nach Munjoy Hill, wo die Fore Street in die Eastern Prom übergeht. Vor ihren Augen erstreckte sich glitzernd die Casco Bay.
An seinem Haus angelangt brach McCabe das Schweigen. »Hast du eigentlich mit DeWitt Holland gesprochen?«
»Am Telefon«, sagte Maggie. »War aber nicht viel zu holen. Er sagt, er hat Spencer seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen. Ich bin morgen zu einem persönlichen Gespräch mit ihm verabredet.«
»War er irgendwie nervös?«
»Nicht besonders. Er hat behauptet, dass er gar nichts von dem Mord mitbekommen hat, nicht mal in den Nachrichten. ›Solche Dinge interessieren mich nicht‹, so hat er sich ausgedrückt.«
»Und? Sagt er die Wahrheit?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Er hat mir einen ziemlich aalglatten Eindruck gemacht.«
»Vielleicht solltest du mal deinen Kumpel vom Morddezernat in Boston anrufen. Falls Holland etwas damit zu tun hat oder irgendwas darüber weiß, dann könnte er der Nächste auf Kanes Todesliste sein.«
Maggie griff nach ihrem Handy und wählte. »Er heißt übrigens John Bell«, sagte sie, während sie das Handy auf Lautsprecher stellte.
»Hey, Mag«, dröhnte Bell los. »Wie laufen die Ermittlungen? Wann kommst du mich hier unten besuchen?«
»John, neben mir sitzt mein Partner Mike McCabe. Ich hab den Lautsprecher eingeschaltet.«
»Okay, kein Problem. Was gibt’s?«
»Wir haben schon wieder einen Mord hier oben. Das Opfer war ein bekannter Herzchirurg. Wir vermuten, dass ein Dr. DeWitt Holland, Herzspezialist im Brigham Hospital, das nächste Ziel des Mörders sein könnte.«
»Mein Gott, hat da jemand was gegen Kardiologen? Kannst du mir vielleicht noch ein bisschen mehr verraten?«
McCabe hielt Maggie einen Zettel unter die Nase: Wie sehr vertraust du dem Typen?
Sie kritzelte darunter: 100%ig.
»Mag, bist du noch da?«
»Entschuldige, John.«
Maggie erzählte Bell, was sie wussten, angefangen bei dem Mord an Katie Dubois bis hin zu dem an Philip Spencer.
»Und wie hängt das alles mit Holland zusammen?«
»Spencer, Holland und ein weiterer Transplantationschirurg, ein gewisser Matthew Wilcox, haben in den Achtzigerjahren in New York ihre Facharztausbildung gemacht, zusammen mit Kane«, übernahm McCabe. »Sie waren gute Kumpels. Haben sich die Asklepios-Gruppe genannt, nach dem griechischen Gott der Heilung. Auch in den Neunzigern waren sie noch eng befreundet, sind gemeinsam Bergsteigen gegangen und so. Als Kane sich dann sein illegales Transplantationsunternehmen ausgedacht hat, da brauchte er
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