The Cutting
so charmant genannt hast – kann ich mir die besten Anwälte dieser Welt leisten. Also, wenn es dir nicht allzu viel ausmacht, dann richte Casey doch bitte aus, dass ich am Freitag komme und sie übers Wochenende mit nach Boston nehmen möchte. Sie und ich haben eine Menge nachzuholen.«
McCabe warf den Hörer auf die Gabel, schenkte sich noch einen Scotch ein und kippte ihn in die Spüle. Dann griff er erneut nach dem Telefon und rief Bobby an.
Estelle meldete sich: »Hier bei McCabe.« Estelle war seit zehn Jahren bei seinem Bruder angestellt, und er hätte eigentlich auf ihre schrille Begrüßung gefasst sein müssen. Aber irgendwie war er das nie.
»Hallo, Estelle.«
»Michael, Schätzchen, wie geht es dir?« Ihre durchdringende Stimme attackierte sein Trommelfell.
»Ganz gut. Und dir?«
»Gar nicht so schlecht, abgesehen von meiner Gallenblase.«
McCabe beschloss, sich gar nicht erst nach ihrer Gallenblase zu erkundigen. »Ist Bobby da?«
»Ich sehe mal nach, ob er zu sprechen ist.« Bobby war ein sehr erfolgreicher Rechtsanwalt, spezialisiert auf Schadensersatzklagen bei Körperverletzung, und außerdem McCabes großer Bruder. Sein einziger Bruder seit Tommys Ermordung.
»Was gibt’s, Mike?« Bobby kam immer direkt zur Sache. Es folgte ein Augenblick der Stille.
»Sandy hat mich angerufen.«
»Aha. Sandy hat dich also angerufen.«
»Sie will rauf nach Portland kommen und Casey besuchen.«
»Ein ziemlich normaler Wunsch für eine Mutter. Mich wundert bloß, dass sie sich nicht schon früher gemeldet hat.«
»Ich möchte nur wissen, ob ich das irgendwie verhindern kann.« Bobby übernahm zwar keine Scheidungsfälle, aber er war unnachgiebig und klug und wusste normalerweise die richtigen Antworten.
»Verhindern? Ich glaube kaum. Zumindest nicht auf legalem Weg. Es geht ja um einen Besuch und nicht um das Sorgerecht, oder?«
Mein Gott. Das Sorgerecht. Daran hatte McCabe überhaupt noch nicht gedacht. »Das Sorgerecht war bis jetzt noch kein Thema«, sagte er.
»Tja, dann würde ich mal sagen, dass kein Richter, der halbwegs bei Verstand ist, versuchen würde, eine Mutter daran zu hindern, ihr Kind zu besuchen. Was sagt denn die Scheidungsvereinbarung zu dem Thema?«
»Nicht viel. Die Formulierung lautet ›angemessener Kontakt bei angemessener Vorankündigung‹. Aber du musst bedenken, dass Sandy die Scheidungsvereinbarung nie angefochten hat. Der Richter hatte einfach das Gefühl, dieser Passus sollte mit drinstehen.«
»Okay, und jetzt, nach drei Jahren, will deine Exfrau also wieder Kontakt zu ihrer Tochter aufnehmen. Ich finde, das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes für Casey bedeuten. Und jeder Familienrichter würde das ganz genauso sehen. Etwas anderes wäre es, wenn sie für Casey in irgendeiner Weise eine körperliche Bedrohung darstellen würde.«
»Eine emotionale Bedrohung zählt nicht?«
»Vielleicht, wenn die Mutter nachweislich unter einer Psychose leidet, aber selbst dann müsstest du vermutlich einen begründeten Verdacht nachweisen, dass das Kind körperlichen Schaden nehmen könnte.«
»Nachweislich selbstsüchtig, gleichgültig und narzisstisch reicht da wohl nicht, hmm?«
»Fürchte nicht. Ein Wochenendbesuch ist ein ›angemessener Kontakt‹, und sie hat ihn ›angemessen angekündigt‹. Ich an deiner Stelle würde es als positives Signal werten, dass Sandy Casey sehen möchte, und es dabei belassen. Ich glaube, es wäre ganz gut, wenn Casey ihre Mutter kennenlernen würde, mit all ihren Fehlern und Mängeln.«
»Und wenn ihr plötzlich einfällt, dass sie das Sorgerecht haben will?«
»Damit kannst du dich beschäftigen, wenn es so weit kommen sollte.«
»Vielleicht sollte ich der blöden Zicke einfach die Kniescheiben wegschießen.«
»Pass auf, was du sagst, Arschloch. Falls irgendjemand einen Revolverhelden wie dich bei einem solchen Satz belauscht, und sei es nur geflüstert, dann verlierst du nicht nur Casey, sondern unter Umständen auch deinen Job. Übrigens, wo wir gerade beim Thema Mutter sind: Thanksgiving findet dieses Jahr bei mir statt. Mom wird langsam zu alt für den ganzen Aufwand. Ich gehe davon aus, dass du und Casey auch kommt. Und du kannst deine Freundin mitbringen, wenn du willst. Wie heißt sie noch mal?«
»Kyra. Sie heißt Kyra. Merk dir das doch endlich mal. Wir werden versuchen zu kommen. Wie geht’s Mom?«
»Sie ist gebrechlich und wird langsam vergesslich. Ich muss immer wieder an Tante Joy mit ihrem Alzheimer denken und
Weitere Kostenlose Bücher