The Cutting
Abgesehen von diesem Schmuckstück trug sie lediglich eine dünne Halskette mit einem goldenen Elsa-Peretti-Herz-Anhänger sowie ein Paar kleine Diamant-Ohrstecker. Sie war sparsam und unauffällig geschminkt. Obwohl sie nur selten überhaupt Alkohol trank und nachmittags sowieso nicht, hatte sie sich heute einen Cosmopolitan bestellt, in der Hoffnung, dass der ihre Nervosität etwas dämpfen würde. Der Mann hatte Verspätung. Sie war es nicht gewöhnt, dass man sie warten ließ, und saß nur ungern alleine in einer Bar. Sie griff nach ihrem Handy, um den Anrufbeantworter zu Hause abzuhören, für den Fall, dass er sich dort gemeldet hatte. Doch dann klappte sie es wieder zu. Zehn Minuten wollte sie ihm noch geben. Sie nippte an ihrem Drink.
Da betrat ein großer Mann mit breiten Schultern und tief liegenden Augen den Raum. Er trug einen gut geschnittenen blauen Blazer über einem gelben Izod-Poloshirt und einer hellbraunen Hose. Er schaute in ihre Richtung und trat dann an ihren Tisch.
»Mrs. Redmond?«
»Ms. Redmond«, erwiderte sie. »John Redmond ist mein Vater. Mein Vorname lautet Vanessa.«
»Sie waren nie verheiratet?« Der Mann setzte sich ihr gegenüber.
»Nein. Wie heißen Sie?«
»Harry. Harry Lime.«
»Ich nehme an, das ist nicht Ihr richtiger Name?«
»Genau. Mein richtiger Name tut nichts zur Sache.«
»Sie sind übrigens zu spät, Harry Lime.«
»Auch das tut nichts zur Sache.«
»Warum wollten Sie sich mit mir treffen?«
»Ich möchte das nicht hier drin besprechen. Es gibt einen Joggingpfad, der um das Gelände führt. Dort können wir einen Spaziergang machen und uns unterhalten. Haben Sie nur diesen einen Drink gehabt?«
»Ja«, erwiderte sie. Er holte einen Zwanzig-Dollar-Schein aus der Hosentasche und legte ihn auf den Tisch. Dann zog er den Tisch ein Stück vor, damit sie leichter aufstehen konnte. Sie verließ die Bar als Erste. Er folgte ihr zum Haupteingang des Hotels, und sie traten gemeinsam hinaus in die Hitze eines Spätsommernachmittags.
Sie schlugen den Pfad ein und entfernten sich langsam vom Haupttrakt des Hotels.
»Sie haben doch kein Aufnahmegerät am Körper versteckt, oder?«, sagte er.
»Du meine Güte, machen Sie sich nicht lächerlich«, erwiderte sie mit einem Anflug von Gereiztheit in der Stimme.
»Ich fürchte, ich muss das leider überprüfen. Darf ich um Ihre Handtasche bitten?« Mit einem tiefen Seufzer reichte sie ihm ihre kleine Hermès-Handtasche. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen und durchwühlte den Inhalt. Nachdem er keine Wanze entdeckt hatte, gab er sie ihr zurück.
»Jetzt möchte ich, dass Sie mir die Arme um den Hals legen und sich an mich drücken, als würden wir uns umarmen. Ich muss Sie abtasten.«
»Den Teufel werd ich tun«, zischte sie. »Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?«
»Ich weiß ganz genau, wer Sie sind, Ms. Redmond. Ich weiß auch genau, wer Ihr Vater ist und in welchem Zustand er sich befindet. Ich weiß, dass er aufgrund seines hohen Alters bereits von sechs Transplantationskliniken eine Absage bekommen hat. Ich weiß, dass Sie wollen, dass er weiterlebt. Und das bedeutet, dass ich Ihre einzige Option bin. Wenn Sie das Treffen lieber abbrechen möchten, dann ist das Ihre Entscheidung. Wir können unser Geschäft hier und jetzt begraben, und ich drehe mich auf der Stelle um und gehe.«
»Und mein Vater wird sterben?«
»Ja, Ihr Vater wird sterben. Aber andererseits, wir müssen alle einmal sterben. Es ist nur die Frage, wann. Und schließlich hätte das ja auch sein Gutes. Sie würden sehr viel Geld erben.«
»Ich habe bereits jetzt mehr Geld, als ich jemals ausgeben kann. Auch wenn es für jemanden wie Sie seltsam klingen mag, aber ich liebe meinen Vater.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie nie geheiratet haben?«
Sie erwiderte darauf nichts. Sie drehte sich einfach nur zu ihm um, blickte ihm mit vollkommen neutraler Miene in die Augen, legte ihm die Arme um den Hals und drückte sich wie eine Liebende an ihn. Sie konnte die Ausbeulung des Pistolenhalfters unter seinem Jackett spüren, während er Zärtlichkeit vortäuschte und ihr mit den Händen über den Körper strich, von oben nach unten, vorne wie hinten.
»Und, gefällt Ihnen das?«, flüsterte sie.
»Es hält sich in Grenzen«, erwiderte er. »Sie sind nicht mein Typ.« Offensichtlich zufrieden, weil er kein verstecktes Aufnahmegerät gefunden hatte, fügte er hinzu. »Okay, Sie können jetzt loslassen.«
Sie wandten sich um und gingen
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