The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
wischte sich die Stirn und setzte seinen Hut wieder auf. »Ich glaube nicht. Einmal hat uns der Hagel den Weizen zerstört, doch selbst da gab es genug Mycoprotein.«
»Emily hat gesagt, dass Mycoprotein ein Pilz sei.«
»Stimmt«, sagte er. »Sie haben ihn in der Kalten Zeit entdeckt und weiterentwickelt. Sie wollten ein Nahrungsmittel, das sie auch im Dunkeln anbauen konnten, für den Fall, dass irgendeine Katastrophe die Welt in Wolken hüllt. Jetzt züchten sie ihn in der Enklave, in diesen großen Fermentiertürmen, die du da sehen kannst.«
Sie sah zum Hügel, wo sie den Obelisken und die Türme der Bastion und rechts davon eine Gruppe orangefarbener Silos hinter der Mauer ausmachen konnte. »Solange wir also mit der Enklave zurechtkommen, sind auch wir hier draußen in Sicherheit«, sagte sie.
Ihr Vater beugte sich vor und zupfte an ihrem Zopf. »Heute machen wir uns aber Sorgen, hm? Und das nur, weil zwei Hennen verschüttgegangen sind.«
Sie kniff die Augen zusammen, um die Höhe des weißen Obelisken mit der ihres ausgestreckten Daumens abzugleichen, wie sie es als kleines Mädchen immer getan hatte.
»Was machst du da?«, fragte ihr Vater.
Sie ließ die Hand sinken. »Es soll uns Glück bringen«, sagte sie. »Mein Daumen ist genauso groß wie der Obelisk.«
Er schnippte gegen die Krempe ihres Huts. »Lass uns zurückgehen. Deine Mutter wird mittlerweile wach sein.«
Der geschwungene Pfad zwischen den Steinen und Büschen des Trockensees war an manchen Stellen steil und kaum breit genug für zwei. Gaia hüpfte voraus.
»Ist Mom okay?«, fragte sie.
Er nickte und folgte ihr. »Deiner Mutter geht es gut«, sagte er, »sie hatte bloß eine harte Nacht.«
»Hat sie wieder ein Kind vorgebracht?«
»Das hat sie.«
»Hat es immer schon eine Babyquote gegeben?«
»Nein«, sagte er langsam. Sie liebte ihn dafür, dass er ihre Fragen immer beantwortete, ob er sie nun mochte oder nicht. »Ich würde sagen, es war eine allmähliche Entwicklung. Als deine Mutter und ich noch Kinder waren, kamen ein paar neue Familien nach Wharfton. Sie waren unsere Art zu leben nicht gewohnt. Die Eltern waren grob und tranken, und so leid es mir tut, das zu sagen, sie vernachlässigten ihre Kinder und schlugen sie manchmal auch. Die Menschen von Wharfton baten die Enklave, etwas zu unternehmen, also nahm die Enklave die Kinder, die man am schlimmsten misshandelt hatte, und zog sie innerhalb der Mauer auf.«
Er hatte ihr eine große Beere gereicht. Sie hielt sie in der offenen Hand, während er erzählte, und sah zu, wie das hauchige Blau sich im Kontakt mit ihrer Haut langsam zu einem satten, glänzenden Lila erwärmte. »Das klingt gut«, sagte sie.
»Es war hilfreich. Sehr sogar«, stimmte er zu. »Dann aber fanden ein paar Familien – besonders solche, die Schwierigkeiten hatten, ihre Kinder zu ernähren – es unfair, dass die verantwortungslosen Eltern in gewisser Weise dafür belohnt wurden, ihre Kinder misshandelt zu haben.«
Das verstand Gaia. Den Tvaltarsendungen nach zu urteilen, hatten die Mädchen innerhalb der Mauer alles, was sie wollten: Bücher und hübsche Kleider und Freunde. »Und was ist dann passiert?«
»Nun, die Enklave fand heraus, dass Babys geeigneter waren. Sie passten sich besser an. Also boten sie an, Kinder zu sich zu nehmen, die gerade mal ein Jahr alt waren, und entschädigten die Familien auch für sie. Zuerst war alles freiwillig. Aber dann, nur ein paar Jahre bevor dein ältester Bruder Arthur geboren wurde, begann die Enklave von den Eltern zu verlangen, dass sie ihre Einjährigen viermal im Jahr zu einer speziellen Auslese brachten, wo die stärksten und lebhaftesten Kinder ausgewählt wurden.«
Gaia rümpfte die Nase. Sie kletterte auf einen nahen Fels und ließ ihre Beine über den Rand baumeln. »Hat das den Eltern denn nichts ausgemacht?«
»Manchen natürlich schon. Andere aber sahen es als tolle Gelegenheit. Weißt du, Gaia, in gewisser Weise gehört jedes Kind der Gemeinschaft.«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Irgendwie klingt es danach, als ob die Leute in Wharfton ihre Babys an die Enklave verkauft hätten.«
Er schüttelte sein Eimerchen und schaute hinein. »So hat es sich eigentlich nie angefühlt«, sagte er bedächtig. »Als Arthur und Odin ausgewählt wurden, war es eine Pflicht und auch eine Ehre, die Kinder vorzubringen. Wir wussten, dass es unseren Jungen nie an etwas mangeln würde. Und vor allem sagte man uns, dass die vorgebrachten Kinder, sobald sie
Weitere Kostenlose Bücher