The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
dreizehn würden, zu uns zurückkehren dürften, wenn sie das wollten.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Gaia.
»Weil es nie vorkommt. Sie entscheiden sich immer dafür, in der Enklave zu bleiben. Die vorgebrachten Kinder sind bei ihren Adoptivfamilien wirklich glücklicher.«
Gaia sah zum Horizont. »Arthur und Odin sind auch dort geblieben?«
Ihr Vater nickte bedächtig. »Später, ein paar Jahre nachdem du geboren wurdest, führte die Enklave die Quote der erstgeborenen Babys jedes Monats ein. Das ist fairer und funktioniert sehr viel besser. Die Leute haben sich mittlerweile daran gewöhnt.«
Gaia schaute zu ihrem Vater auf. »Vermisst du sie?«
Er lächelte schief. »Jeden Tag. Aber ich habe ja dich.«
»Warum hat Mom nicht noch mehr Babys bekommen?«
»Sie hat es durchaus versucht. Aber es scheint, dass du unsere Letzte bist.«
Gaia riss einen Grashalm heraus und zupfte die Samen an seinem Ende ab. »Hatte sie deshalb gestern eine harte Nacht? Mag sie es nicht, Kinder zur Welt zu bringen, wo sie selbst keine mehr haben kann?«
Er nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, ehe er ihn wieder aufsetzte. »Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, Gaia. Deine Mutter ist eine sehr starke Frau, so viel ist sicher. Letzte Nacht waren sie und die alte Meg bei Amanda Mercado. Sie hatte Zwillinge.«
»Zwillinge!«, sagte Gaia.
»Ja. Zwillinge. Zwei Jungen.«
Gaias Lächeln erstarb. »Heißt das, sie hat beide vorgebracht?«
Ihr Vater atmete tief ein und seufzte dann. »Das ist es ja. Die Quote liegt diesen Monat bei zweien, und deine Mutter hatte bereits ein Kind vorgebracht.«
»Was ist passiert?«
Die Lippen ihres Vaters schlossen sich zu einer nachdenklichen Linie. »Das muss unter uns bleiben«, sagte er. »Verstehst du?«
»Ich werde es niemals verraten«, versprach sie.
»Ich will nicht, dass du auch nur mit deiner Mutter darüber redest, es sei denn, sie spricht es von sich aus an. Löchre sie nicht mit Fragen.«
»Werde ich nicht. Versprochen.« Mit einer Mischung aus Stolz und Neugierde hielt sie ihren Eimer mit beiden Händen umklammert.
»Deine Mutter überließ die Wahl Amanda«, sagte er. »Beide Babys waren klein, doch das Erstgeborene wog ein wenig mehr und sah etwas kräftiger aus. Das zweite war ein kleines, zerbrechliches Kerlchen. Jetzt rate mal, welches Baby Amanda gewählt hat.«
Gaia schloss ihre Augen vor der Sonne und stellte sich zwei kleine Neugeborene vor, die in identische graue Decken gewickelt waren, die Augen geschlossen, und geduldig auf eine Entscheidung warteten. Der einzige Unterschied zwischen ihnen war, dass eines etwas größer und runder war. Sie öffnete die Augen.
»Amanda hat das kleinere behalten«, sagte Gaia.
Die Lippen ihres Vaters umspielte ein trauriges Lächeln. »Das stimmt. Und warum?«
»Sie dachte …« Gaia suchte nach den richtigen Worten. »Sie dachte sich, der größere Junge würde in der Enklave schon zurechtkommen, doch um den kleineren, selbst wenn er es nicht schafft, will sie sich selbst kümmern, mit all ihrer Liebe.«
Gaias Vater fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sodass sie seine Augen nicht sehen konnte. Einen Moment stand er einfach nur da, und Gaia befürchtete schon, etwas Falsches gesagt zu haben.
»Dad?«, fragte sie.
Er nahm die Hand vom Gesicht, und sein Lächeln war noch trauriger als zuvor. Mit dem Daumen strich er sanft über die empfindliche, vernarbte Haut ihrer linken Wange. Er hatte so eine Art, ihr das Gefühl zu geben, als bedeute sie ihm gerade wegen ihrer Hässlichkeit besonders viel, und das stellte immer alles auf den Kopf.
»Du bist ein kluges kleines Mädchen, Gaia Stone«, sagte er gutmütig. »Ich frage mich, was aus dir wird, wenn du groß bist.«
Sie drehte den Eimer hin und her. »Glaubst du, Amandas Junge wird je erfahren, dass er einen Zwillingsbruder hier draußen hat?«
Gaias Vater stützte sich mit einer Hand auf den Felsen, auf dem sie saß. »Das bezweifle ich. Sie werden ihm sagen, dass er adoptiert ist und von draußen stammt, das ist kein Geheimnis, aber sie werden nichts über seine Familie hier wissen.«
»Hat Mom ihm die Sommersprossen gegeben?«
»Das tut sie immer, bei jedem Baby, das sie entbindet.«
Gaia schaute auf ihren eigenen linken Knöchel und betrachtete die vier blassen, braunen Male.
»Zu Ehren von Arthur und Odin, stimmt’s?«, fragte sie.
»Stimmt. Du weißt aber, dass das ein Geheimnis ist, oder?«
Sie murmelte ihre Zustimmung. Sie hatte
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