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The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

Titel: The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O'Brien Caragh
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ruhigeren Wohngegenden hinauf, in ein Viertel, das sie noch nie betreten hatte. Das Bimmeln eines Windspiels erklang aus einem Fenster, in fröhlichen Kaskaden fielen weiße und purpurne Flammenblumen über die Oberkante einer nahen Steinmauer, Sonnenlicht drang durch das Gewebe ihres Strohhuts und warf ihr verschwommene, unstete Lichtkleckse auf Nase und Wangen.
    Als sie zum ersten Mal einen Blick in die Enklave geworfen hatte, war dieser Ort ihr wie das Paradies vorgekommen: ganz weiße Wände und blitzende Sauberkeit. Dann, als sie Zeugin der Hinrichtung geworden war, hatte die Brutalität unter dieser Fassade sie schockiert, und sie hatte geglaubt, dass es hier nichts und niemanden gäbe, dem sie vertrauen könnte. Aber nach und nach hatte sie auf ihren Ausflügen mit Sephie und Myrna die lebendige Seite der Enklave kennengelernt: den immer gleichen Trubel des Markts, die Zufriedenheit und die Würde, die den Ärztinnen aus Zelle Q ihre tägliche Arbeit bescherte, selbst wenn sie wenig Aussicht auf Freiheit hatten. Viele hart arbeitende, anständige Menschen hielten die Gießerei, die Glasfabrik und die Mühlen am Laufen, um nützliche Güter zu produzieren. Nicht alles hier war auf Brutalität gegründet.
    Diese neue Gegend besaß einen eigenen, gelassenen Charme, eine einladende Atmosphäre, die zu dem betörenden Duft nach Geißblatt passte. Die Häuser waren hier cremefarben, die Gehwege breiter, und es gab mehr schattenspendende Bäume als anderswo. Auf der Kuppe des Hügels erstreckte sich ein Park, und Kinder, die Stimmen hell und ausgelassen, liefen einem Fußball nach. Obwohl die Gegend ganz anders aussah, erinnerte sie Gaia an den Trockensee. Wäre sie keine Gefangene und er kein Soldat, sie hätten einfach zwei Freunde sein können, die an einem warmen Sommernachmittag einen gemütlichen Spaziergang machten. Aber dieser Mann war kein Freund.
    »Ich hoffe, die Orange war reif …«, erkundigte er sich.
    »Dann hast du sie also geschickt?«
    Er ließ seine Hand in die Tasche gleiten. »Eine Freundin erzählte mir, dass du auf dem Markt Gefallen an Orangen gefunden hast.« Seine Stimme nahm einen kameradschaftlichen Ton an. »Na ja, ich glaube, ›geifern‹ war das Wort, das sie benutzte. Ich hätte ja mehr geschickt, aber sie sind recht schwer zu kriegen.«
    Die anderen Geschenke für die Ärztinnen fielen ihr ein, und sie sah zu ihm auf. »Hast du auch das Garn geschickt, das Buch und die anderen Sachen?«
    Ihre Blicke trafen sich kurz. »Ich habe es dem Protektor vorgeschlagen. Du hast eine Menge Leute zum Nachdenken gebracht, Gaia. Er hatte in letzter Zeit ein paar Probleme mit den Ärztinnen, und manchmal helfen kleine Gesten.«
    Er war also dafür verantwortlich. Sie dachte an den Tag zurück, als sie die Orange bekommen hatten – wie fröhlich sie gewesen waren. Eine Taube mischte sich am Straßenrand unter mehrere Zaunkönige und pickte im Staub. Sie gingen an den Vögeln vorbei und traten auf den Gehweg. Ich sollte ihm danken , dachte sie, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
    »Ich wurde mit der Decodierung deines Haarbands betraut«, sagte er da.
    Sie schreckte zusammen. Offenbar hatten sie also herausgefunden, dass das Band ein Code war. Wie lange würden sie brauchen, ihn zu entschlüsseln, oder war es vielleicht schon gelungen? Ängstlich betrachtete sie sein Gesicht.
    »Ich sollte sagen, ich wurde zunächst damit betraut«, verbesserte er sich trocken. »Dann wurde mir eine weniger sensible Aufgabe zugeteilt. Anscheinend bin ich nicht mehr vertrauenswürdig, wenn es um deinen Fall geht.«
    Sie sah angestrengt die Straße hoch und hielt ihre Hände vor dem Bauch umklammert. »Ich nehme an, ich sollte dankbar sein«, sagte sie.
    »Wieso?«
    Sie zuckte die Achseln und ließ ihn den Sarkasmus in ihrer Stimme hören. »Mit deinem scharfen Verstand hättest du es wahrscheinlich in ein paar Tagen entziffert.«
    »Du wusstest also, dass es sich dabei um die gesuchte Liste handelt?«
    Sie erkannte ihren Fehler. »Nein«, log sie.
    »Weißt du, was darauf steht?«, fragte er.
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum fragst du mich das? Ich habe kein Interesse daran, mit dir zusammenzuarbeiten. Wenn du mich zwingen willst, kannst du das natürlich versuchen. Aber freiwillig werde ich dir gar nichts sagen. Die Enklave hat meinen Vater ermordet.« Die Worte brachten den Schmerz zurück.
    Captain Grey lehnte sich an eine Steinmauer. Er stützte sich auf beide Hände und schaute in die

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