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The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder

Titel: The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O'Brien Caragh
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Vater war derjenige, der gerne mit Buchstaben und Liedern spielte.«
    Seine Brauen hoben sich wieder. »Es wäre also möglich, dass dein Vater dieses Band gefertigt hat?«
    Die Idee kam ihr zum ersten Mal, und sie blickte ihm fasziniert ins Gesicht. »Das würde Sinn ergeben«, überlegte sie. »Er war Schneider. Er machte alle Näharbeiten in der Familie.« Sie erkannte nun, dass es möglich, sogar wahrscheinlich war, dass ihre Mutter ihrem Vater von den Kindern erzählt und ihr Vater die Informationen mit Seidenfaden auf dem Band festgehalten hatte. Er war der eigentliche Chronist der Familie gewesen.
    Bruder Iris lehnte sich gegen den Bildertisch und legte entspannt ein Bein über das andere. »Das ist ein Jammer«, sagte er trocken. Anscheinend war er zu derselben Schlussfolgerung gelangt wie sie.
    »Weil Ihr ihn getötet habt«, sagte sie.
    Er strich sich wieder das Kinn.
    »Wieso?«, fragte sie. »Er war der sanftmütigste Mensch.«
    Er richtete den Blick auf sie. »Er hat zwei Wachen getötet.«
    »Auf der Flucht? Das glaube ich nicht.«
    »Im Versuch, zu deiner Mutter zu gelangen.«
    Für einen Moment schloss Gaia die Augen und stellte sich vor, wie ihr Vater mit den Wachen rang und versuchte, zu ihrer Mutter vorzudringen. Ja, das war ihr Vater. Voller Groll funkelte sie den grauhaarigen kleinen Mann an. Der Kanarienvogel in seinem Käfig schrak abermals zusammen und stieß einen kurzen Pfiff aus.
    Bruder Iris stellte seine Teetasse ab und ging zu einem kleinen Schrank, öffnete eine Schublade und nahm ein Fläschchen heraus. Er schlenderte zu den Fenstern, blieb dort stehen, hielt die Flasche ins Licht und studierte ihren Inhalt. Gaia atmete rascher, als sie ihr Tintenfass erkannte.
    »Lass mich dir ein wenig über diese Tinte erzählen«, sagte er. »Sie besteht aus Ocker, gemischt mit Lehm, Alkohol und einem Antibiotikum.« Träge drehte er das Fläschchen im Licht und inspizierte die undurchlässige, braune Farbe. »Ziemlich unspektakulär, aber funktional«, sagte er. »Es ist der Zusatz von Antibiotika, der ungewöhnlich ist, besonders angesichts der Tatsache, dass Antibiotika außerhalb der Mauer illegal sind. Hat deine Mutter diese Tinte hergestellt?«
    Sie dachte rasch nach. Wusste er dank Leon schon von den Sommersprossen? Wenn ja, könnte dies ein Test für sie sein, einer, den sie bestehen musste. Wenn Leon dieses Wissen allerdings für sich behalten hatte, würde sie es ohne Not ihrem Feind enthüllen.
    »Gaia?«, Bruder Iris trat heran und drehte langsam den Deckel von dem Fläschchen. »Verschwende nicht meine Zeit«, drohte er, tauchte eine Fingerspitze in die Tinte und hielt sie vor ihre Augen.
    »Das ist für die Sommersprossen«, sagte sie.
    Er lächelte befriedigt. »Jetzt machen wir endlich Fortschritte«, sagte er. »Erklär mir das doch näher.«
    In aller Kürze erzählte sie ihm von der Tradition, einen Tee mit der Mutter im Kindbett zu trinken, und den vier raschen Nadelstichen in den Knöchel des Babys. Dabei beobachtete sie ihn aufmerksam, aber sie konnte nicht sagen, ob sie ihm etwas Neues enthüllte. Sie hatte Angst. Das Sommersprossenmuster war das letzte Geheimnis, das sie besaß. Es gäbe nichts weiter zu erzählen. Wenn man mehr von ihr erwartete, könnte sie mit nichts mehr dienen. Und dann? Man würde sie vermutlich foltern und dann töten. Oder würde man den unschuldigen Menschen etwas antun, die ihr wichtig waren?
    Als Gaia geendet hatte, breitete sich Stille aus. Da waren nur ein schwaches Summen vom Bildertisch und die gedämpften Geräusche von draußen vom Platz.
    »Kann ich jetzt meine Mutter sehen?«, fragte Gaia verängstigt.
    Bruder Iris wandte sich mit einem trockenen Lachen ab. »Weshalb so eilig, meine Liebe? Wir haben doch gerade erst begonnen.«
    Er schraubte wieder den Verschluss auf die Tinte und verstaute sie eilig in der Schublade des Schranks. Er holte ein Blatt Papier und einen Stift hervor und legte beides neben ihr auf den Tisch. Als er ihre gefesselten Arme bemerkte, runzelte er die Stirn, berührte einen weiteren Knopf auf dem Bildertisch und sagte: »Schickt eine Wache hoch.« Während sie auf das Eintreffen der Wache warteten, saß Gaia steif auf ihrem Stuhl und wurde zunehmend unruhig. Bruder Iris nahm seine Teetasse und trat wieder ans Fenster. Etwas an seiner beiläufigen Teilnahmslosigkeit jagte ihr kalte Angst ein, und wenn sie seine schmalen, weiß gekleideten Schultern und seine kleine, strenge, getönte Brille betrachtete, empfand sie

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