The Dead Forest Bd. 1 Die Stadt der verschwundenen Kinder
Stuhl und setzte sich an den Tisch. Angespannt nahm Gaia ihm gegenüber Platz. Jetzt, im Licht der Lampe, fiel ihr sein schwarzes Hemd auf. Es war ein grobes Hemd, wie es die Männer außerhalb der Mauer trugen. Als Yvonne sich neben ihn setzte, lächelte er sie kurz an, konnte aber nicht seine Nervosität verbergen.
»Ich weiß, wo deine Mutter ist«, sagte er. »Sie ist am Leben, und es geht ihr gut.«
»Im südöstlichen Turm«, nickte Gaia.
Er trommelte mit dem Finger auf dem Tisch. »Woher weißt du das?«
»Mace hat es mir gesagt.«
Er nickte. Sein Blick wanderte zum Ofen. »Ich habe auch herausgefunden, wo dein Vater begraben liegt«, sagte er.
Gaia sank in sich zusammen, und Pearl legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Er liegt auf dem Armenfriedhof vor der Mauer«, sagte Leon.
Gaia schloss die Augen. Etwas schrecklich Endgültiges lag in dem Wissen um die Ruhestätte seines Leichnams. Es hätte ihr ein Trost sein sollen, ihn außerhalb der Mauer zu wissen, doch sie fühlte nur den harten Stein ihres Kummers.
»Es ist gut«, sagte Pearl. »Er hat seinen Frieden, Liebes. Denk einfach nur daran.«
Gaia öffnete die Augen und wandte sich an Leon. »Wieso hat man meine Eltern ursprünglich eigentlich verhaftet?«
Leon rollte seine schwarzen Ärmel zu den Ellbogen hoch und stützte seine Unterarme auf den hölzernen Tisch. Doch er antwortete nicht.
»Hatten meine Eltern jemals etwas Unrechtes getan?«, fragte Gaia.
»Ich glaube nicht. Nein.«
»Weshalb hat man sie dann …«
»Sie hatten Aufzeichnungen. Deshalb hat man sie festgenommen.«
»Aber Aufzeichnungen sind nicht illegal«, sagte Gaia. »Woher wusste die Enklave überhaupt davon?«
»Es gab Gerüchte, dass eine oder mehrere der Hebammen Listen führten, und dann, als wir deine Eltern verhörten, war klar, dass sie etwas verheimlichten. Sobald deine Eltern sich weigerten, mit uns zu kooperieren, waren sie technisch gesehen Verräter.«
Sie merkte, dass er ihrem Blick auswich, schon seit er hereingekommen war. Etwas war die letzten vier Tage mit ihm geschehen. Seine Lebendigkeit war von ihm gewichen.
Sie senkte die Stimme. »Was ist der wahre Grund, warum ist der Code meiner Mutter so wichtig?«
»Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll«, sagte er. »Es ist kompliziert.«
Oliver zog sich an den Fuß der Treppe zurück und war offensichtlich gespannt auf den Fortgang der Geschichte, während Pearl Leon eine Schüssel Suppe brachte.
»Danke, Schwester«, sagte Leon.
»Du kannst ebenso gut etwas essen, während du Gaias Fragen beantwortest«, sagte Pearl. »Fang einfach von vorne an, und wir versuchen, mitzuhalten.«
Gaia fühlte, wie sich sein Blick hinter ihr in die Ferne richtete und er seine Gedanken ordnete. Dann nahm er den Löffel aus der Suppenschüssel. Die kleine Yvonne hielt einen Finger hoch. »Nicht tropfen«, sagte sie.
»Stell dir vor«, sagte er zu Yvonne, »dass deine Mutter dir zum Geburtstag dreiundzwanzig Löffel schenkt.« Er führte den Löffel zum Mund.
Yvonnes Augen leuchteten. »Das ist ein verrücktes Geschenk.«
Er legte den Löffel wieder auf dem Rand der Schüssel ab. Gaia zog ihren Ärmel zurecht, lehnte sich zurück und verfolgte sein Gespräch mit dem Mädchen.
»Ja«, gab er zu. »Aber es sind sehr interessante Löffel, alle aus Chrom, und jeder ein wenig verschieden von den anderen, sodass du sie auseinanderhalten kannst. Und dann, zu deiner Überraschung, öffnest du das Geburtstagsgeschenk deines Vaters, und es sind noch einmal dreiundzwanzig Chromlöffel. Wenn du sie genau betrachtest, stellst du fest, dass sie zu denen deiner Mutter passen und du Paare bilden kannst.«
Yvonne kletterte von ihrem Schemel und kam mit ein paar Löffeln zurück. »So wie die hier«, sagte sie und legte sie im Licht der Lampe auf den Tisch.
Leon nickte. »Aber denk daran, es sind insgesamt sechsundvierzig Stück, zur Hälfte von jedem Elternteil.«
»Chromosomen«, sagte Oliver und kam neugierig aus seiner Ecke. »Das haben wir in der Schule gelernt. Die Chromlöffel sind Chromosomen, und wir haben sie in jeder Zelle unseres Körpers. DNS gibt’s auch noch.«
»Erzähl weiter«, sagte Pearl.
Leon hielt seinen Suppenlöffel ins Licht, sodass seine Kanten schimmerten. »Jeder Löffel hat Zähne an seiner Seite, so kleine, dass man sie kaum sehen kann, einen neben dem anderen, manche breiter, manche schmaler. Die Zähne sind Gene. Wie ein Zahn auf einem Löffel mit dem entsprechenden Zahn auf seinem
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