The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
sie schläft«, sagte Leon.
Gaia versuchte, die Zunge zu bewegen. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, und sah wieder Leons Beine. Er saß neben ihr auf dem Boden.
»Ist es normal, dass ihre Hände so aussehen?«
»Wohl kaum«, meinte Leon. »Ist die Matrarch bereit zu verhandeln?«
»Sie sagt, sie lässt sich nicht erpressen. Sie will, dass ich Gaia zum Aufgeben überrede.«
Gaia bewegte langsam die Lippen. »Nein«, presste sie hervor.
»Das wird sie nicht«, sagte Leon.
»Sie hat mich gefragt, ob ich ihr bei der Geburt helfe«, sagte Dinah. »Ausgerechnet ich! Kannst du dir das vorstellen?«
»Wer ist jetzt bei ihr?«
»Taja und Dominik und ein paar von der Schwesternschaft.«
»Norris nicht?«
»Nein – der ist hier bei uns. Ich schätze mal, seine Tage als Koch sind damit gezählt.«
»Sie alle setzen ihre Arbeit und noch mehr aufs Spiel, wenn das hier ein böses Ende nimmt«, sagte Leon.
Ein brennender Schmerz fuhr Gaia durchs Bein, und sie zuckte zusammen. »Peter?«
»Peter redet nicht viel«, sagte Leon. »Er hat sich auch schon eine Weile nicht mehr bewegt. Sein Vater ist bei ihm. Will spricht mit den übrigen Leuten.«
Dinahs schmale Stiefel traten in Gaias Gesichtsfeld, dann bückte sie sich zu ihr herab. »Geht es noch?«, fragte sie.
»Taub«, sagte Gaia.
»Ist wahrscheinlich besser so«, grinste Dinah. »Ich hatte ja keine Ahnung, wie stur du sein kannst! Erinnere mich daran, dass ich mich nie mit dir anlege.«
Innerlich musste Gaia lächeln, auch wenn ihr Gesicht keine Regung zeigte.
»Ich fasse es nicht, wie viele Menschen hier sind«, sagte Dinah.
»Wer alles?«, fragte Gaia.
Dinah hockte sich rechts von ihr auf den Boden. »Über zweihundert, würde ich sagen. Vor allem Männer und ein Dutzend Libbies. Mikey, mein Junge, und die Familie meines Bruders sind hier, und ich weiß nicht, wann Peony und ihre Mutter gekommen sind, doch sie sind auch da. Das sind aber die Einzigen aus dem Mutterhaus. Boughton Phineas hat sich auch gerade gesetzt. Hast du ihn mal getroffen?«
»Nein.«
Dass Peony gekommen war, freute sie. Dann wurde ihr kurz schummrig. Lag die Matrarch in den Wehen? Irgendwer hatte das gerade gesagt. Sie wusste nicht mehr, wo ihre Tasche war. Sie schloss die Augen.
»Red weiter«, sagte Leon. »Sie hört dir zu.«
»Gut, wo war ich … Ein paar Männer haben Karten dabei und spielen um Reisblüte. Du wirst es wahrscheinlich bald riechen können. Einer der HavandishJungen sitzt Rücken an Rücken mit seinem Großvater. Er ist vielleicht gerade mal dreizehn. Und vom Dorfplatz aus schauen uns noch eine Menge anderer Leute zu. Keine Ahnung, ob die bloß neugierig sind oder sich uns noch anschließen werden. Was glaubst du, Vlatir?«
»Sie werden schon noch kommen.«
»Das Mutterhaus wird von Bewaffneten bewacht«, fuhr sie fort, »und ein paar Frauen sind mit ihren Bogen rauf auf den Glockenturm. Noch beobachten sie nur.«
Gaia versuchte, Dinah zu folgen, doch es fiel leichter, die Gedanken zur Veranda ihrer Eltern wandern zu lassen. Sie dachte daran, wie kühl es dort morgens im Hinterhof gewesen war, wenn sie unter dem Moskitonetz in ihrem Bett erwachte. Wir sollten mehr Hühner züchten , dachte sie. Ein kleines Küken pickte sich den Weg aus seiner Schale, dann aber pickte es auf einmal an ihrem Augenlid. Das ging doch nicht! Sie konnte doch keine Küken in den Augen gebrauchen …
»Nicht weinen, Fräulein Dinah«, sagte Leon. »Hey. Ich dachte, ihr Libbies wärt alle harte Typen.«
»Sie sieht einfach so schlimm aus«, brachte Dinah hervor. »Und es sind immer noch so viele Stunden!«
»Die Matrarch wird ihre Meinung ändern. Du wirst schon sehen. Vor einer Minute habe ich Dominik am Fenster entdeckt. Sicher redet er gerade mit ihr. Geh zu ihnen und sag ihnen, dass Gaia nicht aufgibt.«
Dominik … Domino … Früher hatte Gaia immer Domino gespielt, weiße Steine mit schwarzen Augen. Die Punkte schwebten auf sie zu, doch so nahe sie auch kamen, blieben sie immer ganz klein. Die Küken bekamen es mit der Angst zu tun, und Gaia wollte die Punkte verscheuchen, doch ihre Handgelenke brannten zu sehr.
Ruhig bleiben , sagte Gaias Mutter da. Keine plötzlichen Bewegungen.
Hör auf deine Mutter, Kleine , sagte ihr Vater.
»Okay«, flüsterte sie. Sie hörte auf ihre Mutter. Sie bewegte sich nicht. Und mit der Zeit konnte sie die Küken vergessen, und auch die Punkte, die ihr im Gesicht brannten, und schlafen.
Sehr viel später wurde sie vom Schmerz geweckt.
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