The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
Zuerst war er nur in ihren Handgelenken, dann breitete er sich wie Feuer von dort aus, die Arme hoch, in ihren Hals, ihr Gesicht. Überall waren Hände, schrecklich grobe Arme, die sie stießen. Sie öffnete die Augen einen Spalt und sah alptraumhafte Gestalten über sich. Ihre schlaffen Hände lagen in einem unmöglichen Winkel auf ihrer Brust. Sie konnte sich aus eigener Kraft nicht regen, nicht den kleinsten Muskel rühren, außer ihre Augenlider, und selbst die brannten.
»Vorsicht – ihr tut ihr weh.«
»Auf drei.«
Nein , dachte sie. Nicht bewegen!
Jemand zählte, und dann wurde sie herumgeworfen. Es war der gewaltigste Schmerz, den sie je gespürt hatte, eine Explosion, die jedes Molekül ihres Körpers zerriss, und binnen drei Sekunden hatte sie wieder die Besinnung verloren.
25 Die Entscheidung der Matrarch
Ihre Ohren kamen zuerst wieder zu sich. Sie hörte das leise Plätschern von Wasser in einer Schüssel.
»Sie haben zu lange gewartet«, sagte jemand im Dunkeln. »Sie sind selbst schuld.«
Sie hatte Angst, die Augen aufzuschlagen, fürchtete sich vor neuen Schmerzen, doch dann berührte etwas Kühles, Weiches ihre Wange. Es war wie eine Gnade, ein herrliches Geschenk, das sie dankbar annahm.
»Ich glaube, sie kommt wieder zu sich. Gaia, hörst du mich?«, fragte Leon.
»Peter?«, fragte sie. Haben sie ihn freigelassen?
Das Kühle verschwand.
Dann hörte sie eine Frauenstimme, und abermals tupfte man ihr das Gesicht ab. »Peter ist auch hier«, sagte Dinah. »Sie haben ihn zuerst freigelassen, genau wie du wolltest.«
Gaia versuchte, den Kopf zu bewegen, doch scharfe Schmerzen schossen ihren Hals hinab. Sie rang nach Luft und hielt ganz still.
»Der Mann der Matrarch will wissen, ob sie jetzt kommen kann«, sagte eine Männerstimme.
»Sag ihm, dass das unmöglich ist«, erwiderte Leon.
»Es ist aber dringend.«
»Überzeug dich doch selbst«, sagte Leon.
Kühle Luft strich über sie, und da schlug sie die schweren Augen auf. Sie befand sich in einem kleinen Wohnzimmer, und als sie die Bücherregale und die rosa Lampe sah, erkannte sie Dinahs Haus.
»Überall im Dorf gibt es Unruhen«, sagte der Mann. »Ich meine ja nur. Wenn ihr sie zum Mutterhaus bringen könntet, würde das vielleicht helfen.«
»Raus hier«, sagte Leon. »Na los.«
Sie versuchte, die Finger zu bewegen, und schaffte es auch.
Hat die Matrarch ihr Kind gekriegt? , wollte sie fragen, doch sie brachte kein Worte heraus.
»Hier. Trink das«, sagte Dinah.
Gaia legte die Lippen an den Rand einer Tasse, und ein kleiner Schluck klaren Wassers benetzte ihre Zunge. Sie wollte die Hand nach der Tasse ausstrecken.
»Ist schon gut – lass mich dir helfen«, sagte Dinah.
Sie stützte sie, sodass sie trinken konnte, und die köstliche Flüssigkeit rann ihre ausgedörrte Kehle hinab. Gaia stieß einen Laut des Wohlbehagens und der Gier aus. »Mehr«, keuchte sie. Sie wollte Leon sehen, aber das ging nicht, sie konnte den Kopf nicht drehen. Auf einer Liege ihr gegenüber lag eine reglose Gestalt, und dem hellbraunen Haar nach zu urteilen, musste es Peter sein. Sein Gesicht aber war flammend rot, und er sah wie zerbrochen aus – als habe ein Riese ihn fallen lassen und dann unter seinem Fuß zermalmt.
»Riese«, murmelte sie. Irgendwie war das lustig.
»Verstehst du, was ich sage?«, fragte Dinah. Sie tupfte Gaias Gesicht mit einem feuchten Tuch ab.
Sie blickte der Libbie ins Gesicht und versuchte, sich die Lippen zu lecken. »Ja«, flüsterte sie.
»Ihr wart zehn Stunden am Pranger«, sagte Dinah. »Fast das komplette Strafmaß. Erinnerst du dich?«
Das tat sie allerdings. An das meiste zumindest. Sie erinnerte sich an die Spinne und daran, dass Leons Stimme immer in ihrer Nähe gewesen war. Sie erinnerte sich auch an den unbeschreiblichen Schmerz, als man sie schließlich herausholte.
»Wo ist Leon?«, fragte sie.
»Gleich hier«, sagte Dinah.
Sie wartete, bis er in ihr Gesichtsfeld trat. Er hatte noch nie so ernst ausgesehen, die Stirn gerunzelt, die stechenden, blauen Augen auf sie gerichtet. Dinah bot ihm ihren Platz an. Der Knoten in Gaias Hals löste sich langsam.
»Haben wir gewonnen?«, fragte sie.
Er griff zärtlich ihre Hand und rückte ganz nahe, drückte ihre Knöchel an seine Wange. »Das haben wir«, bestätigte er. »Du hast gewonnen. Am Ende saßen über achthundert Leute bei uns, und es kamen immer mehr. Die Matrarch musste dich rauslassen. Wenn sie noch zwei Stunden gewartet hätte, wären wir in
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