The End (Die neue Welt)
Blumen verwelkten. Über liegengebliebene Fahrzeuge senkte sich langsam ein Schleier aus Staub und Schmutz. Es stank penetrant nach Fäkalien, weil mancher seine Ausscheidungen nicht ordnungsgemäß hinterm Haus verscharrte. Ihre nach zwölf Tagen im Zuge der Anschläge einzige positive Bilanz besagte, dass nur einer unter ihnen gestorben war.
Siebzehn Familien hatten die sicheren Grenzen des Bezirks hinter sich gelassen, um ihr Glück außerhalb zu versuchen. Gordon versuchte nie, jemanden umzustimmen, der sich zum Aufbrechen entschloss, da seiner Ansicht nach jeder für sich entscheiden sollte. Natürlich warnte er sie vor den Gefahren dort draußen. Er selbst dachte auch regelmäßig daran, die Zelte abzubrechen, da er nicht einschätzen konnte, wie lange die Gemeinde zusammenhalten würde. Falls ihre Erträge weiterhin immer geringer ausfielen, besaßen sie bald nichts mehr zu essen. Bevor dies jedoch geschah, würden sich die Menschen bestimmt gegenseitig die Schädel einschlagen.
Bereits seit seiner Anhörung vor Mindys Pseudo-Gericht brütete Gordon über einem alternativen Plan. Der Gedanke an ihren Unterschlupf in Idaho, jene Berghütte in McCall, ließ ihn nicht los. Der Ort war umgeben von zahllosen Morgen Land und unberührten Gebirgszügen mit reichhaltiger Fauna. Er war diesbezüglich mit Samantha übereingekommen, die hinter allem stand, was er für das Beste hielt. Dank seiner schnellen Reaktion sofort nach den Angriffen hatte er genügend Nahrung gehortet, um seine Familie mehrere Monate ernähren zu können. Er besaß nun auch selbst einen fahrbaren Untersatz, und weder Benzin noch ihre medizinische Versorgung stellten ein Problem dar. Die Reise nach Idaho würde anstrengend sein, doch könnte er auch andere dafür begeistern und einen Wagenzug arrangieren, war es bestimmt zu bewältigen. Mit Nelson und Jimmy wollte Gordon sein Vorhaben besprechen.
Da er Letzteren seit Tagen nicht gesehen hatte, machte er sich Sorgen. Er dachte oft an Simone und Jimmy. Auch der Gedanke an seinen Bruder beschäftigte Gordon; er fragte sich, wie weit die Auswirkungen der Anschläge reichten. Wann immer jemand an seine Haustür klopfte oder ihn zu einer der Schranken rief, weil sich ein Fremder mit der Bitte um Hilfe an sie wandte, wurde er hellhörig und rechnete damit, Sebastian zu sehen. Dabei schoss ihm gleichsam der Gedanke in den Kopf, er treffe ihn eventuell nie wieder. Ohnehin war dies in seinem Leben nicht die Regel. So viele Menschen hatten zu seinem Alltag gehört, etwa jene Angestellte aus dem Supermarkt oder die Tanzlehrerin seiner Tochter, doch wo waren sie jetzt? Seine Kunden, mit denen er regelmäßig am Telefon geplaudert hatte – wie ging es ihnen gerade? Samantha besaß überall im Land verstreut viele Freunde, deren Situation ebenso ungewiss war und es wahrscheinlich auch bleiben würde. Was ihre Eltern betraf, machte sie einen relativ gefassten Eindruck, wohl, weil sie einsah, dass man wenig für die beiden tun konnte. Der Mittlere Westen hätte genauso gut am anderen Ende der Welt liegen können. So viel hatte sich in Windeseile verändert … eine überwältigende Tatsache.
Während der letzten Tage hatte Gordon mit Max zusammengearbeitet, doch nicht lange. Schnell war er dessen Selbstgefälligkeit und Arroganz leid, sein ununterbrochenes Gerede, insbesondere über all die Frauen, die er angeblich aufgerissen hatte. Dabei beschwerte er sich darüber, die Angriffe hätten ihm „die Brautschau verhagelt“. Gordon vermisste Jimmy und konnte es kaum erwarten, ihn wieder im Team zu begrüßen.
Nach dem heutigen Ausflug war Gordon von Max an seiner Einfahrt abgesetzt worden. Jetzt freute er sich, ihn los zu sein und seine Familie wiederzusehen. Sie fehlten ihm sehr, wenn er am Tag unterwegs war. Gerade als er zur Haustür ging, hörte er eine ebenso vertraute wie verhasste Stimme aus der Nähe.
»Gordon?«
Er blieb stehen, sah zu Boden und schüttelte den Kopf. Dann drehte er sich um.
»Was?«, fragte er hörbar verärgert.
»Mir ist schon klar, dass ich bestimmt der letzte Mensch bin, mit dem du jetzt sprechen willst, aber ich muss ein paar Anliegen loswerden.« Es war Dan, der langsam auf ihn zukam.
»Da hast du Recht. Wenn es jemanden gibt, den ich gerade nicht sehen will, dann bist du es.«
»Ein, zwei Minuten nur?«, bat Dan betreten.
»Eigentlich nicht einmal das, aber nur zu«, erwiderte Gordon und blickte auf seine Uhr.
»Was neulich vorgefallen ist …« Dan hielt inne.
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