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The Green Mile

The Green Mile

Titel: The Green Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sprach. Das war gegen die Vorschriften, aber von den Zeugen wusste das nur Curtis Anderson, und der bemerkte es anscheinend nicht. Ich fand, er sah wie ein Mann aus, der nur seinen Job zu Ende bringen will. Ihn verzweifelt hinter sich bringen will. Er meldete sich nach Pearl Harbor bei der Army, kam jedoch nie nach Übersee; er starb bei einem Verkehrsunfall in Fort Bragg.
    John entspannte sich unterdessen. Ich bezweifle, dass er viel, wenn überhaupt etwas, von dem verstand, was Brutal ihm sagte, aber er fand Trost in Brutals Hand, die auf seiner Schulter ruhte. Brutal, der ungefähr fünfundzwanzig Jahre später an einem Herzanfall starb (er aß gerade ein Fischsandwich und schaute sich im Fernsehen Wrestling an, als es geschah, sagte seine Schwester), war ein guter Mann. Mein Freund. Vielleicht der Beste von uns. Er hatte keine Mühe zu begreifen, dass ein Mann die letzte Reise unbedingt antreten wollte und doch Angst davor hatte.
    »John Coffey, Sie sind zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt worden, das Urteil wurde von einer Jury aus Ihresgleichen gefällt und von einem Richter dieses Staates verkündet. Gott behüte die Bürger dieses Staats. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor das Urteil vollstreckt wird?«
    John befeuchtete wieder seine Lippen und sprach dann deutlich. Sechs Wörter. »Ich bedaure, dass ich so bin.«
    »Das solltest du auch!«, schrie die Mutter der beiden toten Mädchen. »Du Monster, das solltest du auch. DAS SOLLTEST DU VERDAMMT NOCH MAL AUCH!«
    John blickte zu mir. Ich sah keine Resignation in seinen Augen, keine Hoffnung auf den Himmel, keinen beginnenden Frieden. Wie gern würde ich Ihnen das Gegenteil sagen. Wie gern würde ich es mir selbst sagen. Was ich sah, war Furcht, Elend, Unvollkommenheit, Unverständnis. Es waren die Augen eines gefangenen und verängstigten Tieres. Ich dachte an das, was er gesagt hatte, wie es Wharton gelungen war, Cora und Kathe Detterick von der Veranda zu holen, ohne jemanden im Haus aufzuwecken. Er hat sie mit Liebe getötet. So ist es jeden Tag. Auf der ganzen Welt.
    Brutal nahm die neue Kapuze zum Verhüllen des Gesichts vom Messinghaken hinten am Stuhl, aber als John sie sah und begriff, was es war, weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Er schaute mich an, und jetzt sah ich große Schweißtropfen auf seinem kahlen Schädel. Sie wirkten fast so groß wie Eier eines Rotkehlchens.
    »Bitte, Boss, tun Sie mir nicht dieses Ding übers Gesicht«, sagte er mit leiser, krächzender Stimme. »Bitte, lassen Sie mich nicht im Dunkeln sterben. Ich habe Angst vor der Dunkelheit.«
    Brutal sah mich an. Er hatte die Augenbrauen gehoben, stand wie erstarrt da und hielt die Kapuze. Sein Blick sagte mir, dass es meine Entscheidung war, er würde sich daran halten. Ich überlegte, so schnell und so gut ich konnte – es fiel mir schwer mit dem Pochen in den Schläfen. Das Verhüllen des Gesichts war Tradition, nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es diente eigentlich nur dazu, die Zeugen zu schonen. Und plötzlich entschied ich mich, dass sie nicht geschont zu werden brauchten, diesmal nicht. John hatte schließlich nichts in seinem Leben getan, was rechtfertigte, wo er war. Sie wussten das nicht, aber wir wussten es, und ich entschloss mich, ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Marjorie Detterick würde mir vermutlich einen Dankesbrief schicken. »In Ordnung, John«, murmelte ich.
    Brutal hängte die Kapuze wieder an den Stuhl. Homer Cribus rief empört mit seiner tiefen, knarrenden Stimme: »He, Mann! Streif ihm diese Kapuze da über! Meinst du, wir wollen seine Augen platzen sehen?«
    »Seien Sie still, Sir«, sagte ich, ohne mich umzudrehen. »Dies ist eine Hinrichtung, und Sie tragen keine Verantwortung hier.«
    »Genauso wenig, wie du für seine Festnahme verantwortlich bist, du Fettwanst«, flüsterte Harry. Harry starb 1982 als fast Achtzigjähriger. Ein alter Mann. An mein Alter kam er natürlich nicht heran, aber das kommen nur wenige. Er starb an irgendeinem Bauchkrebs.
    Brutal beugte sich vor und nahm den runden Schwamm aus dem Eimer. Er drückte einen Finger hinein und leckte die Fingerspitze ab, aber das war kaum nötig; ich sah, dass das hässliche braune Ding tropfte. Er steckte den Schwamm in die Kappe und setzte John die Kappe auf den Kopf. Jetzt fiel mir auf, dass Brutal ebenfalls blass war – teigig bleich, am Rande der Ohnmacht. Ich dachte an seine Worte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl hatte, in die Hölle zu kommen,

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