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The Green Mile

The Green Mile

Titel: The Green Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht den Boden zu berühren – es war mehr ein Schweben oder vielleicht überhaupt keine Bewegung; die Zellen rollten einfach an mir vorbei wie Filmkulissen auf versteckten Rädern.
    Ich wollte mich ganz normal hinsetzen, aber auf halbem Weg gaben meine Knie nach, und ich plumpste auf das blaue Kissen, das Harry vor einem Jahr von zu Hause mitgebracht hatte. Wenn der Stuhl nicht dort gestanden hätte, wäre ich vermutlich auf den Boden gekracht, ohne über Los zu gehen und 200 Dollar zu bekommen.
    So saß ich aber auf dem Stuhl und spürte die Ruhe in meinen Lenden, in denen noch vor knapp zehn Minuten ein Waldbrand gewütet hatte. Ich habe dabei geholfen, nicht wahr?, hatte John Coffey gesagt, und das stimmte, was meinen Körper anbetraf. Mein Seelenfriede war jedoch eine andere Geschichte. Dem hatte er überhaupt nicht geholfen.
    Mein Blick fiel auf den Stapel Formulare unter dem Blechaschenbecher, der auf der Ecke des Wachpults stand. BLOCK-BERICHT stand oben auf den Formularen, und in der Mitte war eine freie Fläche mit der Überschrift Bericht über ungewöhnliche Vorfälle. Ich würde die freie Fläche nutzen, um in meinem abendlichen Bericht die Geschichte von William Whartons lebhafter und ereignisreicher Ankunft zu erzählen. Aber angenommen, ich würde ebenfalls berichten, was mir in John Coffeys Zelle widerfahren war? Ich sah mich schon, wie ich den Bleistift aufnahm – denjenigen, an dessen Spitze Brutal stets leckte – und ein einziges Wort in Großbuchstaben schrieb: WUNDER.
    Das hätte lustig sein sollen, doch statt zu lächeln, war ich plötzlich überzeugt, dass ich gleich heulen würde. Ich schlug die Hände vors Gesicht, drückte die Handflächen auf den Mund, um Schluchzer zu unterdrücken – ich wollte Del nicht von Neuem erschrecken, nachdem er sich gerade erst ein wenig beruhigt hatte -, aber es kamen keine Schluchzer. Auch keine Tränen. Nach ein paar Minuten ließ ich meine Hände auf das Pult sinken und faltete sie. Ich wusste nicht, was ich empfand, und mein einziger klarer Gedanke war der Wunsch, dass niemand zurück zum Block kommen sollte, bis ich mich etwas besser unter Kontrolle hatte. Ich fürchtete, dass sie mir vielleicht etwas an meinem Gesicht ansehen könnten.
    Ich zog einen Block-Bericht zu mir heran. Ich würde noch warten, bis ich mich ein bisschen beruhigt hatte, bevor ich aufschrieb, wie mein neues Problemkind beinahe Dean Stanton erwürgt hätte, aber ich konnte unterdessen den Rest des Bürokratie-Blödsinns ausfüllen. Ich dachte, meine Handschrift würde vielleicht komisch aussehen – zittrig -, aber sie sah ungefähr so aus wie immer.
    Fünf Minuten später legte ich den Bleistift hin und ging ins WC, das an mein Büro grenzte, um zu pinkeln. Ich musste nicht dringend, aber es würde reichen, um zu testen, was mit mir geschehen war. Als ich dort stand und auf den Strahl wartete, wuchs in mir die Überzeugung, dass es genauso schmerzen würde wie an diesem Morgen, als ich glaubte, winzige Glassplitter auszuscheiden; was Coffey mit mir angestellt hatte, würde sich als simple Hypnose herausstellen, und das wäre vielleicht trotz der Schmerzen beruhigender als alles andere.
    Doch es kam kein Schmerz, und was in die Toilette floss, war klar, ohne Anzeichen auf Eiter. Ich knöpfte meinen Hosenschlitz zu, betätigte die Wasserspülung, kehrte an das Wachpult zurück und setzte mich wieder hin.
    Ich wusste, was geschehen war. Ich nehme an, ich wusste es sogar, während ich mir einzureden versuchte, dass es Hypnose gewesen war. Ich hatte eine Heilung erlebt, eine authentische Wunderheilung, gelobt sei Jesus, allmächtig ist der Herr. Als Junge, der mit dem Besuch jeder Baptisten- oder Pfingstkirche aufgewachsen war, die bei meiner Mutter und ihren Schwestern im jeweils laufenden Monat gerade gefragt war, hatte ich viel von Jesu Werk gehört, von den Wundergeschichten des Allmächtigen. Ich glaubte nicht alle, aber es gab viele Menschen, denen ich glaubte. Einer davon war ein Mann namens Roy Delfines, der – als ich sechs oder so war – mit seiner Familie ungefähr zwei Meilen von uns entfernt wohnte. Delfines hatte seinem achtjährigen Sohn den kleinen Finger mit einem Beil abgehackt, ein Unfall, der passiert war, weil der Junge unerwartet die Hand bewegt hatte, als er für seinen Vater auf dem Hof ein Stück Holz auf dem Hackklotz gehalten hatte. Roy Delfines sagte, er hätte in diesem Herbst und Winter praktisch den Teppich mit den Knien abgescheuert, und im

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