The Green Mile
zum anderen«, antwortete Janice scharfzüngig und gab mir einen liebevollen, innigen Kuss auf den Mund. »Du siehst wenigstens besser aus, das muss ich sagen. Eine Zeit lang hatte ich Angst um dich. Ist dein Wasserwerk wieder heile?«
»Alles heile«, sagte ich, und schon fuhr ich los und sang dabei Songs wie »Come, Josephine, in My Flying Machine« und »We’re in the Money«, um mir die Zeit zu vertreiben.
Als Erstes ging ich zum Büro des Tefton Intelligencer, und man sagte mir, dass Burt Hammersmith, der Kerl, den ich suchte, höchstwahrscheinlich drüben im Gerichtsgebäude sei. Dort sagte man mir, dass Hammersmith zwar dagewesen, inzwischen jedoch wieder gegangen war, weil ein Wasserrohrbruch das Hauptverfahren verhindert hatte, das zufällig ein Vergewaltigungsprozess war (im Intelligencer würde das verpönte Wort »Vergewaltigung« als »tätlicher Angriff auf eine Frau« umschrieben werden, so war das damals, bevor Ricki Lake und Carnie Wilson die Bühne betraten). Man nahm an, dass er nach Hause gefahren war. Ich erhielt eine Wegbeschreibung und folgte einer unbefestigten Straße, die so zerfurcht und schmal war, dass ich sie kaum mit meinem Ford zu befahren wagte, und dann fand ich den Gesuchten. Hammersmith hatte die meisten Artikel über den Coffey-Prozess geschrieben, und von ihm erfuhr ich das Gros der Einzelheiten über die kurze Menschenjagd, bei der Coffey eingefangen worden war. Ich meine natürlich die Einzelheiten, die man beim Intelligencer für zu grauenhaft gehalten hatte, um sie zu veröffentlichen.
Mrs. Hammersmith war eine junge Frau mit einem hübschen, aber müden Gesicht, deren Hände rot von Seifenlauge waren. Sie stellte keine Fragen, sondern führte mich einfach durch das kleine Haus, in dem es nach frisch gebackenem Kuchen duftete, hinaus auf die hintere Veranda, auf der ihr Mann mit einer Flasche Brause in der Hand und einem zusammengefalteten Exemplar der Zeitschrift Liberty auf dem Schoß saß. Es gab einen kleinen, abfallenden Hinterhof; an seinem Ende kabbelten sich zwei kleine Kinder wegen einer Schaukel. Von der Veranda aus war ihr Geschlecht unmöglich zu bestimmen, aber ich vermutete, dass es ein Junge und ein Mädchen waren. Vielleicht waren es sogar Zwillinge, was ein interessantes Licht auf die Rolle ihres Vaters warf, die er – wenn auch eher am Rande – bei Coffeys Prozess gespielt hatte. Etwas näher, wie eine Insel inmitten eines Streifens aus kahlem, zertrampeltem und kotübersätem Boden, stand eine Hundehütte. Keine Spur von Fido. Es war wieder ein heißer Tag, ungewöhnlich für die Jahreszeit, und ich nahm an, dass er vielleicht in der Hundehütte lag und schlief. »Burt, du hast Besuch«, sagte Mrs. Hammersmith mit schwerem Südstaatenakzent.
»Aha.« Er schaute mich an, sah seine Frau an und blickte wieder zu seinen Kindern, denen offensichtlich seine ganze Sorge galt. Er hatte schütteres Haar und war dünn – fast krankhaft mager, als hätte er sich gerade erst von einer schlimmen Krankheit erholt. Seine Frau legte eine rote, vom Waschen geschwollene Hand vorsichtig auf seine Schulter. Er berührte sie nicht, griff auch nicht nach ihr, und sie zog die Hand einen Moment später zurück. Es kam mir flüchtig in den Sinn, dass sie nicht wie ein Ehepaar, sondern eher wie Bruder und Schwester wirkten – er hatte den Verstand, sie das gute Aussehen geerbt, aber keiner konnte eine darunterliegende Ähnlichkeit leugnen, ein Erbe, dem man nie entkommen kann. Später auf der Heimfahrt wurde mir klar, dass sie sich in Wahrheit überhaupt nicht ähnelten; was den Eindruck erweckt hatte, waren die Nachwirkungen von Stress und fortdauerndem Kummer. Es ist sonderbar, wie Schmerz unsere Gesichter zeichnet und uns wie Blutsverwandte wirken lässt.
»Möchten Sie was Kaltes trinken, Mister …?«, fragte sie.
»Edgecombe«, sagte ich. »Paul Edgecombe. Und danke. Ein kalter Drink wäre wunderbar, Ma’am.«
Sie ging ins Haus. Ich streckte Hammersmith meine Hand hin, und er schüttelte sie kurz. Sein Händedruck war schlaff und kalt. Er ließ die Kinder hinten auf dem Hof nie aus den Augen.
»Mr. Hammersmith, ich bin Superintendent in Block E der Strafvollzugsanstalt Cold Mountain. Das ist …«
»Ich weiß, was das ist«, sagte er und schaute mich jetzt mit etwas mehr Interesse an. »Der Obermotz der Wärter von der Green Mile steht also leibhaftig auf meiner Veranda. Was führt Sie die fünfzig Meilen hierher, um mit dem einzigen Vollzeit-Reporter der
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