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The Green Mile

The Green Mile

Titel: The Green Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schnell und laut, dass es fast wie Schluchzen klang. Er hatte seine Lektion erhalten, dass er sich in der sicheren Mitte der Green Mile fern vom garstigen Bandersnatch halten musste, fort von den Zähnen, die beißen, und den Klauen, die reißen. Mir kam in den Sinn, dass es eine Lektion war, die ihm länger in Erinnerung bleiben würde als all die Ratschläge, mit denen wir ihn nach unseren Proben überhäuft hatten. Sein Gesicht spiegelte blankes Entsetzen wider, und sein kostbares Haar war zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt hatte, ernsthaft zerzaust. Er sah aus wie jemand, der soeben ganz knapp einer Vergewaltigung entgangen war.
    Einen Augenblick lang verharrten alle, und nur Percys schluchzendes Atmen war zu hören. Dann wurde die Stille durch schrilles Gelächter unterbrochen, so plötzlich und irre, dass es furchterregend war. Wharton, war mein erster Gedanke, doch er war es nicht. Es war Delacroix. Er stand an der offenen Tür seiner Zelle und zeigte auf Percy. Die Maus saß wieder auf seiner Schulter, und er wirkte wie ein kleiner, aber böser Hexer, komplett mit einem Teufelchen auf der Schulter.
    »Sehen an,’at in’ose gepisst!«, johlte Delacroix. »Sehen, was große Mann gemacht’at! Schlägt andere Leute mit Knüppel, mais oui, ein mauvais homme, aber wenn jemand berührt ihn, er pissen in die’osen wie Baby!«
    Er lachte und wies auf die Hose, und die ganze Angst und sein Hass auf Percy kamen bei diesem höhnischen Gelächter heraus. Percy starrte ihn an, scheinbar unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Wharton trat wieder an die Gitterstäbe seiner Zelle und schaute auf den dunklen Fleck vorn auf Percys Hose – er war klein, aber er war da, und es gab keinen Zweifel, was es war – und grinste. »Jemand sollte dem harten Jungen Windeln kaufen«, sagte er, kehrte zu seiner Pritsche zurück und schüttelte sich vor Lachen.
    Brutal ging zu Delacroix’ Zelle, doch der Cajun war hineingesprungen und hatte sich auf seine Pritsche geworfen, bevor Brutal dort war.
    Ich legte eine Hand auf Percys Schulter. »Percy …«, begann ich, aber weiter kam ich nicht. Er erwachte zu neuem Leben und schüttelte meine Hand ab. Er blickte auf seine Hose, sah den Fleck, der sich ausbreitete, und lief feuerrot an. Er sah zu mir auf und schaute dann zu Harry und Dean. Ich erinnere mich, froh gewesen zu sein, dass Old Toot-Toot Toot-Toot weg war. Wenn er dabei gewesen wäre, hätte sich die Geschichte an einem einzigen Tag im ganzen Gefängnis herumgesprochen. Und man hätte sie voller Schadenfreude jahrelang weitererzählt – nicht zuletzt wegen Percys unglücklichem Nachnamen …
    »Wenn ihr irgendjemandem davon erzählt, seid ihr alle in einer Woche arbeitslos und könnt euch bei der Heilsarmee anstellen«, zischte er wütend. Es war die Art Spruch, bei der ich unter anderen Umständen den Wunsch gehabt hätte, ihm eine zu scheuern, doch nun hatte ich nur Mitleid mit ihm. Ich glaube, er sah dieses Mitleid, und das machte es noch schlimmer für ihn – als hätte er eine offene Wunde, in die Salz gestreut wurde.
    »Was hier passiert, bleibt auch hier«, versicherte Dean ruhig. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
    Percy blickte über die Schulter zu Delacroix’ Zelle zurück. Brutal schloss gerade die Tür ab, und aus der Zelle konnten wir immer noch tödlich klar Delacroix’ Kichern hören. Percys Blick war finster wie eine Gewitterwolke. Ich spielte mit dem Gedanken, ihm zu sagen, dass man im Leben erntet, was man sät, aber dann kam ich zu dem Schluss, dass dies vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für eine Bibelstunde war.
    »Und was den anbetrifft …«, begann Percy, aber er sprach nicht zu Ende. Stattdessen ging er mit gesenktem Kopf davon, vermutlich, um im Vorratsraum eine trockene Hose zu suchen.
    »Er ist so süß«, sagte Wharton mit verträumter Stimme. Harry riet ihm, bloß die Schnauze zu halten, weil er sonst in die Gummizelle wandern würde. Wharton verschränkte die Arme vor der Brust, schloss die Augen und schien sich schlafen zu legen.

9
    Am Abend vor Delacroix’ Hinrichtung war es wärmer und schwüler als je zuvor – das Außenthermometer des Verwaltungsbüros zeigte achtundzwanzig Grad an, als ich um achtzehn Uhr den Dienst antrat. Achtundzwanzig Grad Ende Oktober, stellen Sie sich das vor, und Donner grollte im Westen, als hätten wir Juli. Ich hatte an diesem Nachmittag ein Mitglied meiner Kirchengemeinde in der Stadt getroffen, und der alte Knabe hatte mich

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