The Haunted
mir echt leid. Meine Mom …«
»Nein, nicht das. Deine Mom war schon in Ordnung. Ich meine mich. Uns. Wie ich gegangen bin. Tut mir leid.«
Das hatte ich schon ganz vergessen gehabt. »Macht nichts. Passt schon.«
»Sicher?«
»Klar doch. Los, fangen wir an.«
»Okay. Hast du einen Textmarker? Beim nächsten Abschnitt werden wir einen brauchen.«
»Ich sehe mal in unserer Trödelschublade nach«, antwortete ich. »Da müsste einer drin sein.«
Ich wühlte mich durch alte Batterien, Gummiringe, kaputte Glühbirnen (Echt? Wieso heben wir die auf?) und Coupons, die seit Jahren abgelaufen waren, aber einen Textmarker fand ich nicht.
»Hier ist keiner«, sagte ich zu Ben. »Dann gehe ich nach oben, ich habe einen in meinem Zimmer.«
Dort angekommen ging ich an meine Vorratsschachtel unter dem Schreibtisch und kramte einen hervor. Mit dem Stift fiel ein kleines Stück Papier heraus, das auf den Boden segelte. Ich erkannte es sofort.
Es war das Rezept für Pfefferminztee, das Katy mir letztes Jahr an Weihnachten gegeben hatte. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es fehlte.
Weil du es nicht bemerken wolltest, flüsterte mir mein Unterbewusstsein umgehend ein. Zu bemerken, dass es fehlte, hätte bedeutet zu bemerken, dass es real ist.
Ich hielt das zerknitterte Papier in einer Hand und fuhr mit dem Daumen darüber. Nikolas und Katy hatten sich zwar als Geister – oder »Schatten« wie sie sich nannten – bezeichnet und behauptet, Gestalten aus der »Legende von Sleepy Hollow« zu sein, aber in gewisser Hinsicht waren sie doch real. Ich hatte sie schließlich zu Hause besucht. Hatte Tee mit ihnen getrunken. Geschenke mit ihnen ausgetauscht.
Langsam legte ich das Rezept auf den Schreibtisch. Unwillkürlich wanderten mein Blick und meine Finger zu der zierlichen, mit einem Goldrand und einem Rosenmuster geschmückten Tasse, die dort stand. Auch die hatte ich von ihnen bekommen. Sie war hinter einigen vollen Flaschen mit Parfum, das dort reifte, kaum zu sehen und hatte eine feine Lage Staub angesammelt.
Ich sollte Nikolas und Katy besuchen. Mir beweisen …
Mir was beweisen? Ich wusste es nicht. Aber ich würde mir einen Beweis beschaffen … für etwas.
Später, als ich mich gerade fertig machte, um Caspian zu treffen, läutete es. Ich war schon direkt an der Haustür und hatte die Hand bereits auf der Klinke, als die Klingel durchs Haus schallte. Sobald ich sah, wer draußen stand, wurde mir ganz anders und mir fiel sofort unsere letzte Begegnung ein.
Es war das seltsam aussehende Pärchen, das ich auf dem Friedhof getroffen hatte. Dieses Mal trugen sie Khakis – er eine Hose, sie einen langen Rock – und weiße Polohemden. Sie sahen aus wie Schüler einer Privatschule oder Zeugen Jehovas.
Bis auf die Haare.
Er hatte noch immer den Irokesen-Schnitt, nur dass er jetzt rot gefärbt war. Die damals lila und blond gefärbten Haare des Mädchens waren nun knalltürkis.
Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Ich konnte nicht anders, ich hatte meine Füße nicht mehr in der Gewalt.
»Hallo, Abbey«, flötete sie mit ihrer irren, absolut melodischen Singsangstimme. »Kennst du uns noch?«
Etwas rüttelte an meinem Gedächtnis. Mir wurde speiübel. »Cacey und Uri«, erwiderte ich.
»Genau«, sagte Uri. Auch seine Stimme war irgendwie melodisch, aber auf eine ganz andere Art. Der Unterton seiner Stimme weckte die Assoziation eines feinen Silberstroms. »Können wir reinkommen?«
»Das ist – äh … ich muss … ich sollte wirklich …« Ich wurde ganz wirr im Kopf und das leere Haus hinter mir wirkte plötzlich wie eine Bedrohung. Dad war arbeiten, Mom in einer Konferenz. Ich spürte einen seltsamen Drang, den Notruf anzurufen, aber was sollte ich denen sagen? »Hilfe, da stehen zwei höfliche, in Khaki gekleidete junge Leute an meiner Haustür?«
Ein hysterisches Lachen stieg in mir hoch und ich schob den Gedanken beiseite. Von einem Augenblick auf den anderen fühlte ich mich wesentlich ruhiger. Glücklich sogar. Alles würde gut werden.
»Klar!«, sagte ich und riss die Tür weit auf. »Kommt rein. Möchtet ihr etwas trinken?«
Cacey trat ein, gefolgt von Uri, und ich ging voraus ins Haus. »Ich nehme eine Cola, wenn du eine hast«, meinte Cacey. Ich holte eine aus dem Kühlschrank in der Küche und brachte sie ihr. »Und du?«, fragte ich Uri.
»Nein, danke, im Augenblick nichts.«
Sie setzten sich auf die Couch und ich mich in den Sessel gegenüber. Cacey öffnete ihre Dose und trank
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