The Homelanders - Im Visier des Todes (Bd. 4) (German Edition)
zu verfolgen ist, aber wenn du zu lange in der Leitung bleibst … Also, höchstens zehn Minuten.«
Ich nickte. Milton eins verließ das Zimmer, aber Mike zögerte noch.
»Was ist?«, fragte ich.
Mein alter Sensei sagte nichts, sondern hob nur die rechte Faust – das Karatezeichen für Stärke. Danach umschloss er sie mit seiner linken Hand – das Karatezeichen für Beherrschung. Mit dieser Handhaltung verbeugte er sich kurz vor mir – das Karatezeichen für Respekt.
Dann ging er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Ich wartete ein paar Minuten, um mich in den Griff zu bekommen. Manche sagen, man sollte seine Gefühle nicht kontrollieren, sondern ihnen stets freien Lauf lassen, aber ich sehe das anders. Natürlich gibt es Momente, in denen man emotional wird, aber meistens ist es besser, seine Gefühle nicht zu zeigen. Beth sollte wissen, dass ich sie liebte, aber sie sollte nicht sehen, dass ich Angst hatte. Weil ich nicht wollte, dass sie Angst hatte.
Als ich bereit war, zog ich einen der verschnörkelten Stühle heran und setzte mich vor den Laptop. Ich erinnerte mich an den Account, den mein Kumpel Josh für uns eingerichtet hatte, und loggte mich ein. Aus dem Lautsprecher des Laptops kam ein langer Klingelton.
Kurz darauf hörte ich Beth’ Stimme: »Charlie?«
Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis das Bild sich aufgebaut hatte. Dann war sie da. Ihr Gesicht erschien vor mir auf dem Bildschirm, von feinen Locken eingerahmt – wie eine dieser Kameen, die meine Mutter manchmal trägt. Ihre blauen Augen schauten mich direkt an und ein erwartungsvolles Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie musste mich im gleichen Augenblick gesehen haben, denn sie schnappte kurz nach Luft und hielt sich die Hände vor den Mund.
Ich hätte mich freuen sollen. All die Zeit, jeden Tag, jede Minute hatte ich sie mehr vermisst, als ich mir je hätte vorstellen können. Aber ich freute mich nicht. Vielmehr empfand ich eine seltsame Mischung aus Überwältigung und abgrundtiefer Traurigkeit. Bei ihrem Anblick krampfte sich mein Herz zusammen, weil ich überzeugt war, dass ich sie nie wiedersehen würde.
Aber von all dem ließ ich mir nichts anmerken, sondern lächelte sie fröhlich an. »Hey, Beth!«
»Was ist mit deinem Gesicht passiert? Wie siehst du bloß aus?«
Ohne nachzudenken, fuhr ich mit der Hand darüber und zuckte vor Schmerz zusammen. »Ist kein Zuckerschlecken in Abingdon«, entgegnete ich.
Sie nickte. »Wir haben gehört, wie du es geschafft hast, wieder zu fliehen«, meinte sie leise. »Die Anwälte sagen, dass du damit alle Aussichten auf ein Wiederaufnahmeverfahren vertan hast. Und die Polizei sagt, dass es dir schlecht ergehen wird, wenn du dich nicht stellst. Aber es ist mir egal, was sie sagen, ich bin nur froh, dass du da raus bist.«
»Ich auch, Beth.«
Sie schaute mich an, und sie sah aus … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber sie sah aus, als würde sie mir vertrauen.
»Wie geht es jetzt weiter, Charlie?«
Was sollte ich ihr darauf antworten? »Ich weiß es nicht. Zumindest nicht genau. Aber so oder so ist es bald vorbei, Beth. Es gibt da draußen nur noch einen Bösen …«
»Und du musst ihn zur Strecke bringen, weil du der Gute bist. Ich weiß.«
»Ja, so läuft das wohl.«
»Ist es gefährlich?«, wollte sie wissen, sagte aber direkt: »Blöde Frage. Es muss verdammt gefährlich sein, sonst hättest du nicht riskiert, mich anzurufen.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Du bist einfach zu schlau für mich.«
»Allerdings. Vergiss das nie, Charlie.«
Ich schaute in ihre sanften Augen, in ihr süßes Gesicht. Es war erstaunlich, wie gut ich mich an den Duft ihrer Haare erinnerte. Wie oft hatte mich dieser Duft in meiner Gefängniszelle erreicht. So als hätte sie an meiner Pritsche gesessen, meinen Schlaf bewacht, und sei erst gegangen, kurz bevor ich aufwachte.
»Und dann werden sie die Wahrheit erfahren. Ich weiß es. Dieses Mal werden sie dich nicht wieder ins Gefängnis schicken.«
Ich widersprach ihr nicht. »Hoffentlich nicht«, war alles, was ich herausbrachte.
»Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du da drin warst«, gestand sie. »Ich habe versucht, es nicht zu zeigen.«
»Das hast du gut hingekriegt«, log ich.
»Aber es war unerträglich. Es hat mich fast umgebracht.«
Ja, mich auch , dachte ich, sagte aber: »Es tut mir so leid, Beth. Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musst.«
Sie schüttelte nur kurz den Kopf. »Nein, sag das nicht.
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