The Homelanders - Im Visier des Todes (Bd. 4) (German Edition)
der Zeit hatte etwas in mir stets dafür gesorgt, dass ich die Angst überwinden konnte und nicht der Verzweiflung erlag. Okay, die Schurken waren hinter mir her, aber zumindest wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich musste nur entkommen, am Leben bleiben, meine Unschuld beweisen und einen Schritt nach dem nächsten tun, bis ich den Weg nach Hause fand.
Aber das hier war anders. Hier ging es nicht um mich. Es ging nicht einmal um Mike, obwohl ich die Vorstellung kaum ertragen konnte, dass er allein und verletzt in der Dunkelheit lag.
Es ging um all die Menschen da oben in der Stadt, Abertausende ganz normaler Menschen, die zusammengekommen waren, um Silvester zu feiern. Und sie alle schwebten in Lebensgefahr. Alles hing von mir ab.
Die ganze Zeit, den ganzen Abend war ich nur Mike gefolgt. Wie selbstverständlich. Mike war mein Lehrer, mein Sensei. Er wusste immer, was zu tun war und wohin ergehen musste. Er wurde mit allem fertig. Seit meiner frühesten Kindheit folgte ich ihm mit Freuden.
Aber jetzt war er nicht mehr da, und ich war ganz allein hier unten. Ich allein stand zwischen einer Million Menschen und der absoluten Katastrophe. Was, wenn ich sie nicht aufhalten konnte? Was, wenn ich Prince nicht fand? Schließlich hatte ich die Karten nicht so intensiv studiert wie Mike. Was, wenn ich falsch abbog, mich in diesem Tunnellabyrinth verirrte und herumlief wie ein Idiot, während Prince das Giftgas in die Stadt leitete? Ich sah die Schlagzeilen schon vor mir.
Millionen sterben, weil junger Mann versagt.
Für den Rest meines Lebens würde ich nur noch daran denken können, dass ich es ohne Mike nicht geschafft und alle in dieser schwärzesten Stunde im Stich gelassen hatte.
Ich hastete im Dunkeln durch den Tunnel. Die Angst, zu versagen, nahm mir den Atem und verursachte mir Übelkeit. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn und ich hatte feuchte Hände.
Der Tunnel endete in einem weiteren großen Arkadengang, einer weitläufigen Halle voller Säulen und Schatten. Überall um mich herum verschwanden Tunnel und Gleise in der Finsternis.
Ich blieb am Rand der Halle stehen und schaute von einem Ausgang zum anderen. Verzweiflung ließ meinen Magen ins Bodenlose sinken und die Angst schnürte mir die Kehle zu. Wohin musste ich jetzt? In welchen Tunnel, in welche Richtung?
»Du bist nicht allein, Charlie«, flüsterte ich mir selbst zu, als sei ich Mike, der mit mir sprach. »Du bist nie allein.«
Völlig verloren stand ich da.
Hilf mir, betete ich.
Wie eine Antwort auf mein Gebet schoss in diesem Moment ein Zug aus einem der Tunnel und blendete mich. Schnell sprang ich von den Gleisen herunter und weiter in den Arkadengang hinein. Der Zug donnerte an mir vorbei.
Aber mein Gebet war nicht erhört worden. Die U-Bahn war verschwunden und ich wusste genauso wenig wie vorher.
Doch dann sah ich den Weg.
Von meinem neuen Standpunkt aus schaute ich direkt in einen der Tunnel, die aus den Arkaden hinausführten. Während ich noch überlegte, blinkte dort hinten etwas auf. Es waren mehrere Lichter in verschiedenen Farben, die sich bewegten und an- und ausgingen.
Instinktiv lief ich auf diese Lichtquelle zu. Nach ein paar Schritten begriff ich: Das Licht drang von außen in die Tunnel, vielleicht Neonlicht, das da oben aufleuchtete.
Der Times Square!
Natürlich. Hier fand die Silvesterparty statt. Wenn Prince Gas auf den Times Square leiten wollte, musste er es da tun, wo es eine Öffnung zur Straße gab.
Ich rannte los, durchquerte die Arkaden und hielt auf den Tunnel zu.
Es war ein schmaler Korridor, durch den nur ein einzelnes Gleis verlief. Kaum hatte ich ihn betreten, sah ich, wonach ich suchte.
Weiter vorn war ein schmaler Bahnsteig. Gekachelte, von schwachen Lampen beleuchtete Wände. Anscheinend hatteman hier begonnen, eine Haltestelle zu bauen, sie jedoch nie fertiggestellt.
Die bunten Lichter blinkten und flackerten über die Wände. Oberhalb des Bahnsteigs gab es zwei Gitterroste in der hohen Decke, durch die ich die Stadt sehen konnte. Eine enorme Menschenmasse schob sich dort oben vorbei. Ich hörte Böller, Menschen, die riefen und jubelten, und das Geräusch ihrer Schritte. In der Ferne erklang Musik, als würde irgendwo eine Band spielen. Und ich sah Lichter: große Anzeigetafeln, gigantische Videowände, riesige wechselnde Bilder, deren blinkender Schein in diese dunkle Welt hier unter der Erde fiel.
Und dann sah ich Prince.
Er war ganz in Schwarz gekleidet, sodass er mit den Schatten der
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