The Hood
herum, um an die Klingen zu kommen. Dann nimmt er seine Zahnbürste und erhitzt das Ende mit einem Feuerzeug, damit er die beiden Klingen hineindrücken kann. Am besten kommt er von hinten an sein Opfer ran, greift dann nach vorn und zieht ihm die Klinge vom Mund aus übers Gesicht.
Schritt für Schritt versammelt er alle Kids aus South London und bildet seine eigene Gang. Er kann sich sogar vorstellen, mit einigen der Älteren zusammenzuarbeiten, wenn er rauskommt. Aber die Birmingham-Crew beherrscht den Knast. Und die Wärter haben inzwischen gecheckt, was Pilgrim vorhat. Es ist fünf Uhr morgens, und er wird von quietschenden Schlüsseln im Schloss geweckt. Die Tür fliegt auf, und Männer drängen sich herein. Sein Bett wird umstellt. Er schaut auf in ihre Gesichter. Es sind ausnahmslos Wärter.
»Mach dich reisefertig«, schnauzt einer. »Du wirst verlegt.«
So ist es immer. Er wird in ein neues Gefängnis verlegt. Er trifft ein, baut seine Crew auf. Es gibt so lange Schlägereien und Stress, bis sie zusammengelegt werden. Seine Crew beraubt die Dealer und stiehlt Mobiltelefone. Er muss alles in Bewegung halten. Also versucht er, den Knast zu übernehmen. Dann verlegen ihn die Wärter. Wieder und wieder.
Aber all diese Monate im Knast machen ihn nachdenklich. Die ganze Zeit starrt er gegen die Decke, die sich nur wenige Zentimeter über seiner Pritsche befindet, hört zu, wie sein Zellenkumpan nur wenige Meter entfernt kackt. Dann ein paar Minuten Freigang auf dem Hof. Und die ganze Zeit über fragt er sich, wie es dazu kommen konnte, dass er seine frühen Zwanziger in diesem Drecksloch verbringen muss.
»Scheiß auf die Bullen. Alles nur Rassisten«, erklärt sein Zellenkumpan. Das ist eine beliebte Theorie hier drinnen. »Die Kids heutzutage wissen nichts über Jamaika. Sklaven mussten sich den Arsch aufreißen für ein bisschen Zucker im Tee. Heute machen sie immer noch die Scheißjobs, und keiner sagt danke. Die Bullen halten immer nur schwarze Kids an und filzen sie. Du trägst weite Hosen und einen Nike-Trainingsanzug, und schon landest du in der Gang-Datenbank. Mann, die kriminalisieren dich, nur weil du jung bist. Wenn’s ein zweites Toxteth gibt, werde ich der Erste da draußen sein, der einen Molotowcocktail auf den Bullentransporter schmeißt.«
»Bullshit«, schnauzt Pilgrim. »Dauernd höre ich diese Rassismus-Nummer. Sobald man die Erwartungen übertrifft, hört man nichts mehr davon.«
»Ach, ja? Und wie kommt’s, dass so viele Schwarze im Knast sitzen?«
»Weil sie blöd sind. Nur einer von zehn Typen geht in den Knast. Du kannst hier jeden fragen, warum er hier ist. In den meisten Fällen haben sie einen Fehler gemacht: ›Oh, dieser Typ hat mich verpfiffen.‹ Tja, warum hängst du überhaupt mit solchen Typen ab? Such dir Freunde, die den Mund halten können. Ich bin hier, weil ich mit einem Pack Vollidioten einen Raubüberfall gemacht habe.«
Pilgrim hält die Augen offen, lernt ständig dazu. Es gibt unterschiedliche Typen.
Es gibt zum Beispiel die Rude Boys, die sich aufführen wie in einem Rap-Video. Es ist ihnen wichtig, dass jeder weiß, sie machen Geldwäsche und verticken Drogen. Sie springen immer herum, gehen, als hätten sie ein Bein gebrochen, auf eine Seite geneigt. Wenn man ein echter Gangster ist, hält man sich bedeckt und versucht, nicht aufzufallen. Dann gibt es die Muskel-Typen, die nichts anderes tun, als zu pumpen. Sie schlucken Steroide und sind aufbrausend. Er beobachtet, dass diejenigen mit langen bis lebenslänglichen Haftstrafen erheblich entspannter sind und alles langsam angehen lassen. In Untersuchungsgefängnissen wie Pentonville und Brixton sind sie optimistischer wegen des ständigen Wechsels. In Feltham waren die jungen Kids alle aufgeregt. Es war wie eine Auszeichnung für sie. Manche hatten Angst, aber das konnten sie nicht zeigen. High Down liegt dicht bei dem Frauengefängnis Dornview, man hat einen gemeinsamen Parkplatz. Man kann durchs Fenster mit den Frauen reden, allerdings hört auch jeder zu.
Manche Typen bilden sich. Sie lesen über die Geschichte der Sklaverei, Marcus Garvey und Malcolm X. Darauf steht Pilgrim nicht. Manche Bullen sind Wichser, aber es gibt überall gute und schlechte. Kein rassistischer Bulle hat ihn gezwungen, eine Kanone in die Hand zu nehmen und Stress zu suchen. Er denkt darüber nach, wie es dazu kommen konnte, dass er seine Jugend im Bau verbringt, und ab wann alles schiefging.
Zum ersten Mal bekam er in der
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