The Hood
Jas.
»Nein«, sagt Kam. Seine langen Fingernägel sind verkrustet mit schwarzem Dreck, und er klaubt ein Insekt aus seinen Haaren. »Wir sind fünfzehn, vergiss das nicht. Verteilt auf sechs Räume mit Mülltonnen.«
»Alles Panjabi?«
»Ein Pakistaner.« Dann fügt er hinzu: »Die werden nicht wissen, wer es war. Könnte auch jemand von außerhalb gewesen sein.«
Jas ist nicht beruhigt. Troll ist immer noch da draußen und wartet. Southall war drei Generationen lang die Heimat der Panjabi-Sikhs und bot billigen Wohnraum in Flughafennähe. Doch Jas’ etwa hundertköpfige Gruppe besteht aus obdachlosen Junkies und Ausgestoßenen. Selbst der Tempel kann ihm den Zutritt verwehren. Die Tatsache, dass man im Glassy Junction Pub mit Rupien bezahlen kann und man kein einziges Wort Englisch benötigt, um zehn Jahre in der King Street zu leben, wird ihm nicht helfen, wenn Soldaten der hiesigen Gangs wie Murder Dem Pussies oder Grit Set Jagd auf ihn machen und ihn wegen nicht bezahlter Schulden abstechen.
Aus seiner Nase läuft ein juckendes Rinnsal über seine Oberlippe. Seine Schultermuskeln sind schmerzhaft verspannt, und wenn er sich bewegt, graben sich seine Zehen in den Boden, als könnte er sonst umfallen. Die ganze Nacht werden in der Tiefgarage und an den dunklen Stellen der öffentlichen Anlagen das Geschrei und die Rufe der Dealer zu hören sein, aus deren Mobiltelefonen blecherne Musik scheppert. Eine Mutter flehte die Stadtteilpolizei an und brach dann schluchzend auf dem Boden zusammen, sagte, sie könne die Bedrohung nicht länger ertragen. Die Bullen erinnerten sie daran, dass sie die gleiche Anwohnerin war, die sich geweigert hatte, für die Räumung eines Crackhauses zu unterschreiben. Jas legt sich zu Kam neben die Rollen eines Müllcontainers.
»Ich habe einen Typen im Gurdwara getroffen«, sagt Jas. »Er wohnt in einer nicht mehr genutzten Kindertagesstätte des NHS. An der Hamborough Road. Die haben da Licht und Wasser.«
Kam will Jas’ Gejammer im Moment nicht hören. Er will schlafen, während das Brown zu wirken beginnt. »Du denkst nur daran, weil du noch nicht gedrückt hast«, sagt Kam.
Er braucht das Brown, damit er schlafen kann, um all die Scheiße auszublenden, die ihm in den Kopf kommt. Kam spritzt jeden Tag Heroin im Wert von 30 Pfund, damit er sich in Watte packen kann. Bis Tagesanbruch wird ihn jetzt nichts mehr quälen, und dann wird er sich aufs Neue darum kümmern, wie er seine drei Beutel zusammenbekommt. Er denkt an die drei Jahre zurück, die er auf einem Bauernhof in Italien Felder bestellt hat. Damals war er sauber. Vor zwei Jahren ist er rübergekommen und arbeitete sechs oder sieben Monate als Bauarbeiter. Doch die Arbeit versiegte in der Krise, und er hatte keine Wohnung. Er lernte andere obdachlose Typen aus dem Punjab kennen, und die Älteren unter ihnen brachten ihn darauf als Mittel gegen die Kälte. Er hat Freunde, die eine Arbeit haben und ihm Geld geben. Es gibt nicht nur Somali-Dealer, sondern auch Sikhs. Kam sagt sich immer wieder, dass er mit den Drogen aufhört und sich wieder einen Job sucht, wenn ihm jemand hilft. Es ist kalt im Winter, und sie werden den Spalt unter der Tür verstopfen müssen, doch die Ratten werden trotzdem reinkommen. Er schließt die Augen und stellt sich vor, wie grün das Gras nach einem starken Regenguss in Jalandhar ist.
»Es könnte schlimmer sein«, sagt Kam. »Ein paar Typen aus Nawashahar und Ludhiana wohnen in einem verlassenen Pub auf der anderen Seite des Broadway, im Northcote Arms. Einer hat einen Abszess am Bein. Er lässt sich nicht behandeln. Er denkt, wenn er das Bein verliert, bekommt er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.«
Darüber muss er leise lachen, weiß aber nicht wirklich, was daran so komisch ist. Diesen Typen ginge es auf der Straße besser. Das Northcote ist feucht und nass, das Dach ist undicht. Es stinkt fürchterlich nach Krankheit. Einige von denen haben feuerrote Pusteln, die ständig jucken. Die sind überall, an Fingern und Zehen, auf den Ellbogen und in den Hautfalten ihrer Eier. Das ist die Krätze. Früher oder später erwischt es sie alle, wie Erkältungen oder die Grippe. Während der letzten zwei Jahre sind ein paar von denen tot aufgefunden worden. Kams Miene hellt sich auf, als er einen harten Klumpen in seiner Tasche findet. Es ist das Nokia-Handy, das er am Nachmittag gestohlen hat.
»Sieh mal.« Er schwenkt ein kleines weißes Licht von dem Telefon hin und her. »Müsste man auf
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