The Hood
Im Verlauf der letzten fünf Jahre hat er Kontakte in ganz London aufgebaut, allerdings mit Schwerpunkt auf Lewisham und Southwark, wo es richtig abgeht. Diese beiden Stadtteile sind heute viel schlimmer, als es Hackney je war. Er hält sich nicht gern in seinem alten Viertel auf und wohnt woanders. Es gibt hier zu viele Feinde, offene Rechnungen und Opfer. Er sieht ständig in den Rückspiegel, schlängelt sich zügig durch den dichten Verkehr auf der Stadtautobahn. Wenn er alte Freunde in seiner Hood trifft, hängt er nicht zu lange mit ihnen herum. Man kann niemandem vertrauen.
»Wo?«
»In Southall. Ein Somali. Hat vielleicht schon in jungen Jahren Waffen benutzt. Heute ist er vierzehn und auf dem besten Weg, ein erfolgreicher Vollstrecker zu werden.«
»Okay. Klär zuerst mit ihm ab, ob es okay ist, wenn du mir seine Nummer gibst.«
»Er ist wirklich schwer zu finden. Noch schwerer ist es, ihn zu treffen. Auf der Straße wird er Troll genannt.«
Pilgrim trägt ein gebügeltes beiges Hemd, das zu seinem T-Shirt passt, einen Diamantstecker im Ohr und einen silbernen Anhänger an einer eleganten Kette. Er schnappt sich ein Stück Papier und kritzelt darauf: »Southall. Troll.«
Das Licht schwindet. Zwei junge Asiaten entfernen sich von dem Sikh-Tempel aus weißem Marmor und Granit, dem Gurdwara, hinter dem Friedhof. Sie gehen in Richtung der weitläufigen Havelock Estate in Southall. Einer schleppt sich mit einer großen Sporttasche ab, die mit schweren Metallgegenständen gefüllt ist. Sie bewegen sich im Schatten eines hölzernen Gartenzauns, der sich unter drei Reihen kürzlich gespannten Nato-Drahts biegt. Dahinter ragt die Havelock auf. Derbe dreistöckige Blöcke verdecken die tiefstehende Sonne. Die Männer zögern an der Ecke, verschränken kurz die Arme und blinzeln in das Labyrinth dunkler Gassen. Es ist eine No-go-Area für die Bullen. Sie machen einen Schritt nach vorn und werden von einer pechschwarzen Öffnung zwischen nackten Betonwänden verschluckt. Kaum drin, geht man zügig weiter, versucht so schnell wie möglich auf der anderen Seite wieder herauszukommen, ohne unterwegs jemandem zu begegnen. Kam, ein magerer Zwanzigjähriger, hockt sich hin und lässt die Finger tastend über das Mauerwerk gleiten, bis sie einen engen Spalt auf Augenhöhe finden. Er drückt sein Gesicht gegen das Loch und linst hinein. Eine riesige unbeleuchtete Tiefgarage liegt hinter der Mauer. Kam ist ganz ruhig, und eine stumpfe Verträumtheit legt sich über ihn. Der Raum dehnt sich vor ihm aus wie eine Meereshöhle. Kämpf dagegen an, denkt er, konzentriere dich. Er gräbt seine ungeschnittenen Nägel in die Knöchel der anderen Hand. Wieder wachsam bemerkt er eine Bewegung in der Finsternis. Drei Gestalten sind nur schemenhaft auszumachen, sie lehnen sich auf ihre Fahrräder. Sie tun gerade nichts, sind aber gefährlich wie Raubtiere. Jas taucht an seiner Seite auf und beugt sich herab, um selbst zu sehen.
»Das sind die Typen, die mich vor zwei Tagen überfallen haben«, flüstert er auf Panjabi und deutet zittrig mit dem Kopf auf sie. »Haben mir einen Stein ins Gesicht geschlagen.«
Seine Nase ist gebrochen. Die Anstrengung des Kauerns löst einen Krampf in Jas ’ Beinmuskel aus. Nach zwei Tagen ohne Schuss ist er krass auf Entzug. Seine Nase läuft, die Augen tränen und sein Kopf schlingert. Kam ist mager, aber Jas ist ein Skelett. Mit sechsundzwanzig hat das Brown, eine Form von Heroin, sämtliches Fleisch von seinen Knochen gebrannt. Ein aufgeschwemmter, behelfsmäßiger Verband klebt auf der Innenseite seines Unterarms.
»Somalis«, sagt Kam. »Die hacken immer auf Asiaten herum.«
Aber er wird sich auch von Jas’ Angst vor den Somalis nicht davon abhalten lassen, in der Tiefgarage auf Klautour zu gehen.
»Die sind tödlich«, stöhnt Jas.
Er hat einen weichen Knubbel hinter der Schläfe, seit er ein paar Nächte zuvor zwischen den Grabsteinen auf dem Friedhof an der Havelock Road geschlafen hat. Den Somali-Gangs gehört die Havelock. Sie lassen kleine Kids in ihren Schuluniformen stundenlang in den Treppenhäusern des Wohnsilos dealen. Wer sich weigert, wird in den Park gebracht, nackt ausgezogen und ausgepeitscht. Dann bekommen sie eine Tasse Tee und werden zu ihren Müttern zurückgebracht. Ein Junge aus einer Siedlung in der Nähe wurde nackt zu einem Pitbull in einen Fahrstuhl gesteckt und in den fünfzehnten Stock hochgeschickt. Als die Tür sich schließlich öffnete, wartete dort
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