The Hunter - Die komplette erste Staffel
blickte er sie an, während ihr Bild mehr und mehr verblasste.
„Ich wünsche dir die Kraft, auf deine Schwester zu warten. Alles wird gut werden.“
Nein!, wollte er schreien. Du darfst nicht gehen. Ihre Stimme wurde leiser.
„Wenn sie da ist, musst du ihr sagen, dass sie nur mit Feuer gegen all das Böse ankommt.“ Leiser. Und noch leiser: „Sie muss auf das Blatt sehen. Alles kommt von allein … du wirst das Haus nicht verlassen können, bis sie dich befreit. Sie wird es verstehen …“
Und dann war sie weg. Doch ihn umhüllte keine Kälte, wie er vermutet hatte. Ross fühlte sich wohlig geborgen und warm. Es war keine Angst in ihm. Trotz der Umstände war er mit einem Mal glücklich.
Ross blickte aus dem Dachfenster nach draußen und dem Wagen hinterher, in dem seine Schwester saß. Ihr blasses Gesicht konnte er im Rückfenster sehen. Mittlerweile parkten vor dem Haus mehrere Autos, aus denen Menschen stiegen. Sie traten ein. Kurze Zeit später konnte er beobachten, wie sie zwei Säcke auf Tragen nach draußen brachten. Ein Sack war kleiner als der andere. Das bin ich. Das war ich. Erstaunlicherweise fühlte er keine Trauer. Ross wandte sich vom Fenster ab und streifte im Haus umher. Es wimmelte von Menschen, die jedes Zimmer auseinandernahmen. Und irgendwann kehrte Stille ein.
***
Zeit hatte ihre Bedeutung verloren. Ab und zu kreuzte die Energie eines anderen verstorbenen Menschen Ross’ Sphäre, und er unterhielt sich mit ihnen. Ganz unterschiedliche Charaktere waren es, die er kennenlernte. Kleine Kinder, ältere Menschen, gescheite Leute, Menschen, die es nicht wahrhaben wollten, gestorben zu sein. Die waren länger bei ihm. Jene, die sich nicht trennen konnten. Es dauerte allerdings nicht lange, da spürte er ihre glückliche Aura und konnte sich denken, dass ein höheres Wesen dieses Glücksgefühl über die Energie der Toten ausschüttete, um sie zu sich zu holen. Natürlich waren das alles nur Vermutungen, denn immer wieder fragte sich Ross, warum er dann nicht geholt wurde. War diese Mission so wichtig, dass er einfach übersehen wurde?
Er lernte viel von ihnen. Denn sie waren redselig, wollten nicht schweigen, konnten sich noch nicht damit abfinden, ihre Liebsten verlassen zu müssen. So wuchs er quasi weiter, obwohl er vom Alter her zwölf geblieben war. Doch er wartete sehnlichst auf den Tag, an dem seine Schwester zurückkommen würde. Er hoffte inständig darauf.
Den einzigen menschlichen Kontakt, den er hatte, war zu der Nachbarin, die einige Monate nach dem Schicksalstag vorbeikam. Erstaunt stellte er fest, dass sie mit ihrer komischen Frisur und den schillernden Farben im Gesicht wie ein gruseliger alter Punk aussah. Am ersten Tag war sie lediglich durchs Haus gegangen und hatte irgendetwas vor sich hingemurmelt. Einige Tage später brachte sie jemanden mit, der Bretter vor die Fenster nagelte. Während dieser Zeit umhüllte sie die Möbel mit weißen Tüchern, räumte die Schränke aus und packte die Kleidung seiner Grandma in große Kisten, die sie sauber beschriftete. Die Schubläden der Kommode legte sie mit Zeitungspapier aus. Jedes Mal, wenn sie sich bückte, stöhnte sie auf, wischte sich mit einem Lappen über das Gesicht, und arbeitete dann still weiter. Die nächsten Tage nahm sie sich jedes Zimmer vor. Ross beobachtete sie interessiert und hatte plötzlich große Lust, sie zu ärgern. Es war wie ein Tick, der jeden Tag stärker wurde. Bis er eines Tages so übermächtig wurde, dass er es versuchte.
Sie stand auf einem Hocker, hängte die Gardinen ab, da näherte er sich ihr und fuhr so lange um ihren Körper herum, bis sie zitternd im Zimmer stand. Sie klapperte mit den Zähnen. Ross wusste, dass es heiß sein musste, denn sie hatte wieder ihren Lappen dabei, mit dem sie sich über das Gesicht wischte. Erschrocken riss sie die Augen auf und verließ das Haus. Von da an vermied sie die Besuche für mehrere Monate – oder waren es Jahre? Ross wusste es nicht. In der Zwischenzeit lernte er viele neue Menschen kennen. Und irgendwann fragte er sich, wieso nicht mal ein böser Geist seine Sphäre kreuzte. Einer, der, wie man ihm noch weismachen wollte, als er lebte, eigentlich in die Hölle gehörte. Doch dies geschah nicht. Es blieb friedlich …
1.
Medina saß nackt auf ihrem Bett und wollte sich gerade eincremen, als sie ein Geräusch am Fenster hörte. Wie ein Kratzen auf der Scheibe. Fuck! Rasch sprang sie vom Bett, zog eine Fackel unter ihrem Bett hervor und stellte
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