The Immortals 6: Rivalin des Schicksals (German Edition)
schwelgen. Unter ihnen waren frischgebackene Investmentbanker und Jurastudenten, Fernseh-und Modeassistenten, Klatschreporter und selbst ernannte Müßiggänger, die an ihre Erbteile gekommen waren und ihre Tage in geselligen Runden zubrachten. Sie führten ein Leben, das aus Partys, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Festivals und sportlichen Großereignissen wie Wimbledon bestand.
Die Freunde hatten Allegras neuen Haarschnitt gelobt und wissen wollen, warum sie damals ohne eine Erklärung verschwunden war. Jemand wie sie tat so etwas Unerhörtes doch nicht! In ihren Kreisen blieb man aus Gewohnheit in Kontakt und tauschte sich ewig über die glorreichen Zeiten aus, als sie noch an der St. Pauls oder der Endicott-Akademie gewesen waren.
Sie hatte sich übermäßig entschuldigt und versprochen, sie alle nach New York einzuladen, wenn die Umbauarbeiten an ihrer Stadtvilla in der Fifth Avenue abgeschlossen waren, wo sie und Michael nach ihrer Hochzeit einziehen wollten.
Oben angekommen trat sie aus dem Lift und klopfte an eine Stahltür.
»Die Tür ist offen!«, rief Ben.
Sie drückte die Tür auf und blieb an der Schwelle stehen. Ben stand vor einem großen Gemälde und wischte sich gerade die Hände an einem feuchten Lappen ab.
»Du bist gekommen«, sagte er, als könnte er es nicht ganz glauben. Er legte den Lappen beiseite, rieb die Hände an seiner Jeans trocken und trat zu ihr. Er war nervös, stellte sie überrascht fest. Die fröhliche Gelassenheit, die er am Abend zuvor gezeigt hatte, schien verschwunden zu sein.
»Du hast mich eingeladen.«
»Ich war nicht sicher, ob du wirklich kommen würdest.«
»Nun, jetzt bin ich hier.« Sie lächelte zögernd.
Warum verhielt er sich so merkwürdig? Hatte sie ihn falsch verstanden? Er hatte sie gebeten, sich sein Atelier anzusehen, und sie hatte das als ehrliche Einladung aufgefasst – nicht als eine dieser Höflichkeitsfloskeln, die sich Leute auf Dinnerpartys zuwarfen. War das ein weiterer Fehler?
Als sie an diesem Morgen aufgewacht war, hatte sie kaum erwarten können, ihn wiederzusehen und gehofft, dass er allein sein würde. Jetzt standen sie schon so lange am Eingang, dass er ihr unhöflich vorkam.
»Also, willst du mich reinlassen?«
Ben wurde rot. »Entschuldige, wo habe ich nur meine Manieren? Bitte, auf jeden Fall.«
Allegra betrat das Atelier. Es war ein großes weißes Loft mit deckenhohen Fenstern und Blick auf die Bucht. Überall standen und lagen Farbdosen und Pinsel herum und der Boden war mit Folie ausgelegt. Ein öliger Geruch lag in der Luft.
»Tut mir leid, es ist etwas chaotisch«, sagte er.
Sie nickte, denn sie war sich nicht sicher, was sie erwidern sollte. Das Atelier war vollgestopft mit Leinwänden jeglicher Größe, einige waren mindestens zweieinhalb Meter hoch und drei Meter breit. Es gab auch kleinere Bilder, die auf Staffeleien standen oder an den Wänden hingen. Viele waren gerahmt oder in Folie gewickelt.
Während sie sich umsah, entdeckte sie in all seinen Kunstwerken eine Gemeinsamkeit. Jedes – von dem Wandgemälde, auf dem sich ein Mädchen wie eine moderne Odaliske verträumt im Bett rekelte, bis hin zu den kleineren Bildern, die ihrem eigenen ähnelten – war ein Porträt von ihr.
Sie lief umher und studierte schweigend und äußerst betroffen seine Arbeiten. Ben folgte ihr wortlos und wartete auf ihre Reaktion. Doch im Moment konnte sie nichts dazu sagen. Sie dachte nur über die Botschaft nach, die er mit den Werken ausdrücken wollte. Die Bilder zeigten die Bedeutung, die ihre kurze Liebesgeschichte für ihn hatte: Allegra auf dem Bett, in ihrer weißen Unterwäsche. Allegra im nächtlichen Wald, als sie bei den Peithologen aufgenommen wurde, dem »Geheimbund der Dichter und Abenteurer«. Sein Zweck hatte in erster Linie darin bestanden, sich nach der Ausgangssperre zu betrinken. Allegra, die ein Lateinbuch in die Höhe hielt. Allegra nackt, mit dem Rücken zum Betrachter. Es gab auch ein kleines schwarzes Bild. Alles war schwarz bis auf das hellblonde Haar und die elfenbeinfarbenen Fangzähne – Allegra, die Vampirprinzessin.
Sie begriff, dass der unbekümmerte Künstler und heitere Lebemann des letzten Abends wieder nur vorgespielt waren.
Ihr Kuss hatte ihn gezeichnet und verändert. Sein Atelier stellte eine Art Schrein dar, errichtet in dem Versuch, mit ihrem Verschwinden fertig zu werden. Diese besessene Rückbesinnung auf jeden einzelnen Moment ihrer Beziehung war seine Art, sie bei sich zu behalten. Er
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